Wie gerecht sind Richterinnen und Richter? Soziologe spricht Klartext
«Wir entscheiden oft aufgrund von Vorurteilen»

Alle neigen zu Ungerechtigkeiten und unbewussten Denkmustern, sagt der Soziologe Adrian Itschert – auch Gerichte. Die gute Nachricht: bereits wenige positive Erfahrungen können Vorurteilen den Garaus machen.
Publiziert: 16.11.2023 um 14:03 Uhr
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Menschen hätten Vorurteile, die unbewusst in ihre Entscheide einfliessen, sagt der Soziologe Adrian Itschert.
Foto: Univeristät Luzern
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Katharina Siegrist
Beobachter

Adrian Itschert, entscheiden Richterinnen und Richter gerecht?
Ob sie gerecht entscheiden, kann ich nicht sagen. Was ich sagen kann, ist, dass Menschen Vorurteile haben, die unbewusst in ihre Entscheide einfliessen. Das nennt man dann unconscious bias – also unbewusste Wahrnehmungsfehler.

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Woher kommen diese?
Eine gewisse Voreingenommenheit macht evolutionär total Sinn. Alles, was uns ähnlich ist, das wir kennen, bedeutet weniger Gefahr. Und in unserem täglichen Leben sparen wir enorm viel Zeit, wenn wir uns so entscheiden, wie wir es kennen, wie es uns naheliegend erscheint. So kann es auch dazu kommen, dass Richter Menschen, die ihnen gewissermassen fremd sind, in deren Situation sie sich nur schwer einfühlen können, härter bestrafen.

Müsste man dagegen nicht etwas unternehmen?
Natürlich! Das Problem betrifft aber nicht nur Richter und Richterinnen. Nehmen wir zum Beispiel eine Firma, die ihr mittleres Management konsequent mit weissen Männern Anfang 40 besetzt. Das ist aus der Sicht des Unternehmens irgendwie sogar sinnvoll. Immerhin werden sich Neue schnell integrieren, untereinander vernetzen und reibungslos zusammenarbeiten. Das ist ökonomisch. Nur bleiben damit Minoritäten oder Frauen auf der Strecke.

Adrian Itscherts Forschungsthemen an der Universität Luzern sind unter anderem Ungleichheitssoziologie und die Soziologie der Massenmedien.
Foto: Univeristät Luzern

Was könnte helfen?
Sensibilisierungskampagnen, um auf die Risiken von bias aufmerksam zu machen, nützen häufig wenig. Betroffene werten das oft als Schuldzuweisung, als eine Art, wie sie umerzogen werden sollen. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass unbewusste Vorurteile sogar noch verstärkt werden. Erfolgreich ist meistens nur, was man freiwillig macht.

Das klingt ja so, als müsste man unconscious bias einfach so hinnehmen.
Die gute Nachricht ist – unconscious bias sind extrem anpassungsfähig! Wenige gute Erfahrungen können schon dazu führen, dass sie umschlagen. Es wäre darum wichtig, die Gelegenheit für solche neuen Erfahrungen zu machen – etwa, indem Richterinnen und Richter auch ausserhalb des Gerichtssaals Kontakt mit Migrantinnen und Migranten hätten.

Wie misst man unconscious bias überhaupt, und wie merkt man, dass man selbst unbewusst voreingenommen ist?
Sie werden per Fragebogen vermessen. Man merkt, dass man einem unconscious bias aufgesessen ist, wenn Erwartungen enttäuscht werden, für die man sich nachher schämt. Wie beispielsweise, dass man mit dem Geschlecht oder der Hautfarbe Erwartungen verbindet, die man so nie formuliert hat. Dann ist man überrascht, dass Personen Kompetenzen aufweisen, die man ihnen nicht zugetraut hätte.

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