Auf einen Blick
- SVP-Nationalrat Thomas Aeschi geriet in Konflikt mit Bundespolizei im Parlamentsgebäude
- Aeschi bestreitet Durchbrechen einer Absperrung, zeigt Hämatome am Oberarm
- Nationalratsbüro ändert Kommunikationspraxis bei Zugangsbeschränkungen
Die paar Minuten haben sein öffentliches Image nachhaltig verändert. Seit dem 12. Juni gilt Thomas Aeschi (45), Zuger SVP-Nationalrat und Präsident der SVP-Bundeshausfraktion, als politischer Rüpel, der nicht nur rhetorisch, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes draufhauen kann.
An jenem verhängnisvollen Tag gerieten Aeschi und sein Parteikollege Michael Graber (43) am Rande des Besuchs des ukrainischen Parlamentspräsidenten mit Uniformierten der Bundespolizei aneinander. Die Bilder von der «Rangelei» im Foyer des Parlamentsgebäudes verbreiteten sich rasend schnell. Die Schlagzeilen wird der Politiker nicht mehr los. Aeschi hat eine Strafanzeige am Hals.
Längst hat sich die Erzählung selbständig weiterentwickelt. In der SRF-«Arena» von letzter Woche sagte SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (38), dass Aeschi «Polizisten angriff».
Am Montag hat die nationalrätliche Immunitätskommission den Antrag der Bundesanwaltschaft geprüft, Aeschis Schutz vor Strafverfolgung aufzuheben. Der Entscheid wurde vertagt.
Was passierte am 12. Juni? SonntagsBlick hat diverse Akten ausgewertet, auf die sich die Immunitätskommission stützt. Dazu gehören Aeschis Eingabe bei den Strafverfolgern vom 31. Juli, der Mailverkehr zwischen dem Einsatzleiter der Bundespolizei, F. H.*, und Aeschi am Tag nach dem Ereignis – sowie weitere als «vertraulich» klassifizierte Unterlagen.
Daraus lässt sich nachzeichnen, wie der stets mit Anzug und Krawatte auftretende Wirtschaftspolitiker in einen nicht mehr zu kontrollierenden Shitstorm geriet.
Auf dem Weg zu Zimmer 55
In seiner Eingabe an die Bundesanwaltschaft beschreibt Aeschi akribisch, wie es zum Eklat kam. So habe er an jenem Mittwoch, dem 12. Juni, nach einer Parlamentsabstimmung «um ca. 10 Uhr» den Nationalratssaal verlassen, um sich «auf dem üblichen Weg» via Haupttreppe West in der Kuppelhalle des Parlamentsgebäudes zum für Parlamentarier reservierten Arbeitszimmer Nr. 55 zu begeben, wo er die «parlamentarische Arbeit fortführen» wollte.
Auf dem Zwischenboden der Treppe stand «ein einziger Sicherheitsassistent», der den Nationalrat darauf hinwies, dass «in wenigen Minuten der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk für ein Foto mit dem SP-Nationalratspräsidenten Eric Nussbaumer vor den drei Eidgenossen» erwartet würde.
Hämatome am rechten Oberarm
Nationalrat Thomas Aeschi habe den Sicherheitsassistenten «höflich darauf hingewiesen», dass er «nur die verbleibenden elf Stufen der Treppe hinuntergehen» werde, um im Arbeitsraum im Erdgeschoss weiterzuarbeiten, und sei rechts am Mann vorbeigegangen. Dann habe der Sicherheitsassistent Thomas Aeschi «von hinten ergriffen», worauf Aeschi «erschreckte» und versucht habe, sein Gesicht «vor Verletzungen zu schützen» und sich gleichzeitig «von der angreifenden Person loszureissen».
Der Moment ist auf Bildern festgehalten. Dabei sei Aeschis Hemd «unter der rechten Achselhöhle zerrissen» worden, ihm seien «am rechten Oberarm Hämatome» zugefügt worden, was der Malträtierte fotografisch dokumentiert hat.
Die Mär von der durchbrochenen Absperrung
Berichte über eine angebliche Absperrung, die Aeschi durchbrochen haben soll, entpuppen sich demnach als falsch – eine Absperrung hat es am Ort des Geschehens keine gegeben. Ebenso irreführend war die Information, dass sich Aeschi in der entscheidenden Phase mit mehreren Uniformierten zankte. Der zweite kam erst am Schluss der Auseinandersetzung hinzu.
An anderer Stelle in seiner Erklärung zuhanden der Bundesanwaltschaft weist Aeschi darauf hin, dass er eigentlich stets ein gutes Verhältnis zu den Sicherheitskräften hatte. «Ich fühlte mich seit meiner Vereidigung als Nationalrat vor bald 13 Jahren, dem 5. Dezember 2011, bisher immer gut durch die Fedpol-Sicherheitsassistenten im Parlamentsgebäude vor Drittpersonen geschützt, und es kam nie zu einem Zwischenfall.»
Eine erste Aussprache mit der Polizei
Zudem würden die meisten Bundespolizisten die Parlamentarier namentlich kennen. «Das Gesicht des Fedpol-Sicherheitsassistenten, der an meinem rechten Arm riss», sei ihm jedoch nicht bekannt vorgekommen.
Kurz nach dem Rencontre, um circa 10.30 Uhr, fand im Zimmer 287 im Bundeshaus eine erste Aussprache statt, an der neben Aeschi zwei Vertreter der Bundespolizei teilnahmen, darunter auch der verantwortliche Einsatzleiter F. H.*.
Aufschlussreich ist ein Mailverkehr am Tag danach zwischen F. H. und Aeschi. Um 10.02 Uhr meldete sich der Einsatzleiter beim Parlamentarier: «Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung.» Worauf der Politiker um 11.59 Uhr zurückschrieb, dass er gerne eine Besprechung mit den beiden Fedpol-Mitarbeitern durchführen wolle, «mit denen ich gestern Kontakt hatte (sic!)».
Ein E-Mail mit Zündstoff
Es gehe ihm darum, so Aeschi, «a) die Namen der beiden Fedpol-Mitarbeiter zu kennen und b) ihre Sichtweise auf den gestrigen Vorfall zu hören». Schliesslich werde er «diesen beiden Herren auch in den kommenden Wochen und Monaten hier im Bundeshaus wieder begegnen».
Nach der Mittagspause, um 13.42 Uhr, antwortete der Einsatzleiter mit einem höflichen Njet: «Besten Dank für Ihren Vorschlag hinsichtlich einer Besprechung. Seitens Fedpol sehen wir zurzeit von einem Gespräch mit Ihnen und den beiden Sicherheitsassistenten ab.» Der Chef wollte seine Leute vor einer direkten Begegnung verschonen. Doch folgt im selben Mail ein aufschlussreicher, brisanter Satz: «Ich versichere Ihnen, die beiden werden Ihnen künftig professionell begegnen.» Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Verantwortliche das Vorgehen seiner Männer in jenem Fall als unprofessionell einstuft.
Die Kehrtwende der Bundespolizei
Eine Woche später, am 19. Juni, erscheint eine erste Analyse des Sicherheitsdienstes zur Sache («EAP Journal-Auszug»). Und am 24. Juni der Fedpol-Bericht. In beiden Dokumenten ist von der anfänglichen Differenziertheit des Einsatzleiters nichts mehr zu lesen. Jeder Anschein von Selbstkritik ist wie durch Zauberhand verschwunden.
Stattdessen weist F. H. bloss auf das «basierend auf der hohen Gefährdungsstufe festgelegte Sicherheitsdispositiv» hin, an das man sich gehalten habe. Die Kehrtwende in der eigenen Aufarbeitung dürfte damit zu erklären sein, dass die Verantwortlichen ihre Mitarbeiter schützen wollten – zum Nachteil Aeschis.
Das Büro verlangt eine bessere Kommunikation
Dazu kommt die mangelnde Kommunikation: So hat es über die offiziellen Kanäle keine vorgängige Information der 246 Parlamentarier über den Besuch des ukrainischen Gasts und die Einschränkungen im Haus gegeben. «Nicht einmal der Nationalratspräsident und damit der ‹höchste Schweizer›», so Aeschi, hätte die Mitglieder der Bundesversammlung informieren können, da nicht einmal er über das Sicherheitskonzept informiert worden sei.
Das Problem ist durchaus eingestanden worden, und zwar durch eine nicht beachtete Mitteilung des Nationalratsbüros vom 23. August («Einschränkungen des Zugangs zum Bundeshaus bei Staatsbesuchen oder anderen Veranstaltungen»). Darin wird eine Praxisänderung angekündigt: Das Büro habe verlangt, «dass die Parlamentarier über Zugangsbeschränkungen zum Bundeshaus bei ausländischen Besuchen informiert», und dass die Fraktionschefs bei offiziellen Besuchen «konkreter informiert» werden.
Aufgrund all der Punkte hatte Aeschi den Spiess umgedreht und in seiner Eingabe vom 31. Juli die Bundesanwaltschaft aufgefordert zu prüfen, «ob seitens Fedpol ein Offizialdelikt vorliegt».
Aeschi will sich auf Anfrage nicht zum Fall äussern.
* Name der Redaktion bekannt