Balthasar Glättli (51) hatte den härtesten Job. Als er im Sommer 2020 zum Parteipräsidenten gewählt wurde, befanden sich die Grünen auf dem Zenit. Diese spektakuläre Flughöhe zu halten, lautete Glättlis «Mission Impossible» – sie gelang bekanntlich nicht. Im letzten Herbst mussten die Grünen Federn lassen, ihr Wähleranteil sackte um 3,4 Prozentpunkte auf unter 10 Prozent. Ein Debakel.
Er sei das Gesicht dieser Niederlage, sagte Balthasar Glättli ein paar Wochen nach der herben Enttäuschung. Und er kündigte an, im nächsten Frühling als Parteichef zurückzutreten.
Dass Niederlagen auch eine positive Seite haben können, brachte keiner besser auf den Punkt als der irische Schriftsteller Samuel Beckett mit seinem Comeback-Mantra: «Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.» Wer nichts zu verlieren hat, kann nur gewinnen. Für die künftige Präsidentin oder den künftigen Präsidenten der Grünen ist das eine ausgezeichnete Ausgangslage. Entsprechend gross ist das Interesse am freien Posten.
«Ich spüre eine gewisse Verpflichtung meiner Partei gegenüber»
Sehr gute Chancen, Glättlis Nachfolgerin zu werden, hat die Berner Nationalrätin Aline Trede (40). Bislang hatte sie keine Anstalten gemacht, ihr Amt als Fraktionschefin der Grünen abgeben zu wollen. Nun sagt sie zu SonntagsBlick: «Ich überlege mir eine Kandidatur.»
Tredes Stärke: Sie spürt die Basis. Während Glättli als intellektueller Stratege gilt, schafft es Trede, die Menschen auf der Strasse zu begeistern. Sie könnte die Jungen zurück an Bord holen, die sich, weil ihnen alles zu langsam geht, nach der Klimawahl enttäuscht von den Grünen abgewendet haben.
Sie sei gerne bei den Leuten, wolle wissen, wie es ihnen geht, sagt Trede. Die Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit: Seit Wochen erhält Trede Mails und Anrufe von Parteifreundinnen und -freunden, die sie motivieren, fürs Parteipräsidium zu kandidieren. «Ich spüre eine gewisse Verpflichtung meiner Partei gegenüber», sagt Trede. Der Zeitpunkt sei gut, die Aufgabe ungleich dankbarer, als sie damals Kollege Glättli vorgefunden hatte.
Bis heute ist im Generalsekretariat der Grünen noch kein Bewerbungsschreiben eingetroffen. Die Deadline endet in der ersten Februarwoche. Nicht nur Aline Trede macht sich über die Festtage Gedanken. Dem Vernehmen nach schliesst auch Lisa Mazzone (35) ein Comeback nicht mehr aus. Nachdem die Genferin die Wiederwahl als Ständerätin überraschend verpasst hatte, kündigte die Hoffnungsträgerin der Grünen ihren Rückzug aus der Politik an. Seither hat sich Mazzones Groll etwas gelegt, und sie überlegt sich ernsthaft eine Kandidatur.
Sie tingelt lieber durch die Lande
Ebenfalls Ambitionen hegen die Tessinerin Greta Gysin (40), die Zürcherin Marionna Schlatter (43), die Baselbieterin Florence Brenzikofer (48) oder die St. Gallerin Franziska Ryser (32). Für die Grünen ist klar: Auf Glättli muss jetzt eine Frau folgen – oder ein gemischtes Doppel. Fragt man nach möglichen Männerkandidaturen, fällt häufig der Name des gescheiterten Bundesratskandidaten Gerhard Andrey (47). Zu SonntagsBlick sagt der Freiburger Nationalrat: «Das sind in der Tat Gedanken, die ich mir mache.» Er werde im neuen Jahr zu gegebener Zeit kommunizieren.
Aline Trede hofft auf ein grosses Kandidatenfeld, auf eine echte Ausmarchung. Es gebe bei den Grünen leider diese freundliche Tendenz, anderen den Vortritt zu lassen. Die Mutter zweier Kinder freut sich auf das Ende der besinnlichen Zeit, tingelt lieber durch die Lande. Schon am ersten Januarwochenende besucht sie die Kantonalparteien in Uri und im Kanton Basel-Landschaft. Eine Woche später stehen Solothurn und Luzern auf dem Programm.
Einlaufen fürs Parteipräsidium? Vielleicht sogar im Power-Duo mit Mazzone? Bald werden die Karten auf den Tisch gelegt, die Prüfungskommission steht bereit. Die Stabübergabe erfolgt dann an der Delegiertenversammlung am 6. April. Sie sei zunächst einfach froh, dass es wieder losgehe in der Politik, sagt Aline Trede. «Ich mag nämlich keine Ruhe.»