Weniger Fleisch, mehr Getreide
Macht SVP-Initiative die Schweiz zum Vegi-Land?

Die SVP will per Volksinitiative den Selbstversorgungsgrad der Schweiz hochschrauben. Was das bedeuten würde? Ein Experte ordnet ein.
Publiziert: 16.08.2022 um 09:59 Uhr
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Aktualisiert: 17.08.2022 um 11:00 Uhr
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Esther Friedli und Marcel Dettling planen eine Selbstversorgungs-Initiative.
Foto: Thomas Meier
Lea Hartmann

Die SVP will mehr Schweiz auf dem Teller. Wie Blick berichtet hat, planen die beiden SVP-Nationalräte Esther Friedli (45) und Marcel Dettling (41) eine neue Volksinitiative. Das Ziel ist, einen Selbstversorgungsgrad von mindestens 60 Prozent in der Verfassung zu verankern – und zwar netto. Heute werden 56 Prozent der hierzulande konsumierten Kalorien in der Schweiz produziert. Netto, also nach Abzug des Anteils, der auf importiertem Futtermittel beruht, liegt der Wert noch bei 49 Prozent.

Viel zu wenig findet die SVP. Der Ukraine-Krieg und dessen Folgen haben aus Sicht der beiden Parteivertreter gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Schweiz in Sachen Ernährungssicherheit möglichst unabhängig vom Ausland ist. Um den Selbstversorgungsgrad gut zehn Prozent zu erhöhen, müssten die Bäuerinnen und Bauern künftig gut ein Viertel mehr produzieren. Gleichzeitig will die SVP zur Bedingung machen, dass die Viehwirtschaft nicht geschwächt werden darf.

«Bevölkerung müsste sich mehr vegetarisch ernähren»

Liesse sich das überhaupt umsetzen? Durchaus, sagt Kommunikationschef Marc Andrey von der Forschungsanstalt Agroscope des Bundes. Eine Erhöhung des Selbstversorgungsgrads hätte aber Konsequenzen auf unseren Speiseplan. «Die Bevölkerung müsste sich mehr vegetarisch oder vegan ernähren», sagt Andrey. Vor allem gäbe es weniger Fleisch.

Denn heute wird über die Hälfte des Ackerlands dazu verwendet, Futtermittel für Nutztiere anzubauen. Dieser Anteil müsste reduziert werden und stattdessen mehr pflanzliche Nahrungsmittel direkt auf unseren Teller wandern. «Das Grünland würde vor allem für die Rinder, also die Herstellung von Milch, genutzt», führt Andrey weiter aus. Mit der Konsequenz, dass der Bestand an Schweinen und Hühnern deutlich reduziert werden müsste, wie er erklärt. Auch Mastrinder gäbe es dann weniger.

Weniger Ökoflächen? Nicht sinnvoll

Den Selbstversorgungsgrad auf diese Art und Weise zu erhöhen, hält Agroscope laut Andrey für sinnvoll – die Vorteile wären eine gesündere Ernährung und weniger Umweltbelastung.

Keine gute Idee ist laut Agroscope indes der andere Weg: die Intensivierung der Landwirtschaft. Mit mehr Dünger, Pflanzenschutzmitteln und Kraftfutter könnte die Produktionsleistung gesteigert werden, ohne dass jemand auf sein Schnitzel verzichten muss. Weil die Schweiz bei diesen Mitteln allerdings vom Ausland abhängig ist, würde das hinsichtlich der Versorgungssicherheit nichts bringen.

Der Plan der SVP sieht vor, mehr Flächen in Ackerland umzuwandeln. Aus ihrer Sicht gibt es heute viel zu viele Ökoflächen, auf denen zum Erhalt der Biodiversität nichts angebaut wird. Eine Erhöhung des Selbstversorgungsgrades auf diese Weise werde die Biodiversität negativ beeinflussen, warnt Andrey. Das könnte die Versorgungssicherheit langfristig gefährden.

Der Faktor Foodwaste

Eine viel sinnvollere Massnahme wäre die Reduktion von Foodwaste. Ein Drittel aller Lebensmittel wird heute weggeworfen. Der Bundesrat schätzt, dass man den Selbstversorgungsgrad um über zehn Prozent erhöhen könnte, wenn zwei Drittel der Lebensmittel, die heute im Abfall landen, konsumiert würden. Das geht aus einer Antwort auf einen Vorstoss von Grünen-Ständerätin Maya Graf (60) hervor.

Andrey betont aber: «Selbst wenn der Selbstversorgungsgrad auf 60 Prozent steigen würde, bliebe die Schweiz abhängig von Nahrungs- und Produktionsmittelimporten.» Schliesslich gibt es auch Produkte, die Herr und Frau Schweizer lieben, aber hier nicht oder nicht in genügender Menge angebaut werden können – zum Beispiel Kaffee oder Kakao, um Schoggi herzustellen. «Die Haltung von Pflichtlagern und der internationale Handel von lebenswichtigen Gütern auch in Krisenzeiten sind daher für die Schweiz ebenfalls wichtige Punkte für die Versorgungssicherheit», hält Andrey fest.

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