Es war im März 2017, da gab der damalige Landwirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (70) den Bauern im Parlament ein Versprechen ab: «Es ist die Absicht, dass wir den Eigenversorgungsgrad von 60 Prozent brutto und 55 Prozent netto aufrechterhalten, sogar bei wachsender Bevölkerung», sagte er in der Debatte zur Ernährungssicherheits-Initiative.
Schneider-Ammann hat das Bundesratsamt längst abgegeben – und die Zusage ging in Bundesbern offenbar vergessen. 2020 betrug die Brutto-Selbstversorgung nur noch etwa 56 Prozent, der Netto-Wert, der ausschliesslich die mit einheimischen Futtermitteln produzierten Nahrungsmittel berücksichtigt, gar um 49 Prozent. Grund genug für die SVP, eine Volksinitiative zu lancieren, die eine Mindestquote von 60 Prozent verlangt.
Grünen-Graf: «Es braucht Brot und Blumen»
Für Kopfschütteln sorgt die neue SVP-Initiative bei Landwirtschaftspolitikerin und Grünen-Ständerätin Maya Graf (60). «Die SVP will das Rad zurückdrehen und nimmt weder Klima- noch Biodiversitätskrise ernst. Ihr Rezept bedeutet mehr intensive Produktion mit mehr Futtermittelimporten und Pestiziden», so die Baselbieterin. Das bedeute mehr Auslandsabhängigkeit. «Es heizt den Klimawandel an, schädigt das Ökosystem und bedroht somit langfristig unsere natürlichen Produktionsgrundlagen», ist sie überzeugt.
«Für einen höheren Selbstversorgungsgrad bin ich zu haben – die Frage ist aber: welchen?», betont Graf. «Sicher nicht auf Kosten von Umwelt und Klima.» Sie macht denn auch klar: «Eine höhere Selbstversorgung bedeutet weniger Fleischproduktion und weniger Foodwaste, dafür mehr Anbau von Getreide und eiweissreichen Pflanzen wie Soja, Bohnen oder Kichererbsen. Anstelle von Tierfutter müssen wir mehr Lebensmittel für Menschen auf Ackerflächen anbauen.»
Eine Reduktion der Biodiversitätsflächen kommt für sie jedenfalls nicht infrage. «Wir brauchen ein intaktes Ökosystem, um unsere Böden langfristig zu schützen. Brot und Blumen!»
Mit ihrer Initiative lenke die SVP von den wahren Problemen der Landwirtschaft ab, sagt Graf. «Die Bauern leiden so krass wie nie unter Trockenheit und Wassermangel. Die Anpassung an den Klimawandel ist die grösste Herausforderung für die Landwirtschaft.»
Bauern-Ritter: 60 Prozent brutto «realistisch»
Auf offene Ohren stösst das SVP-Anliegen hingegen beim Bauernverband. «Die angedachte Initiative spricht ein wichtiges Anliegen an», sagt Bauernpräsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter (55, SG) zu Blick. «Krisen wie jene infolge von Corona oder der immer noch andauernde Krieg im wichtigen Exportland Ukraine zeigen, dass die ausreichende Ernährung aller Menschen zu den grossen Herausforderungen der Zukunft gehört.»
Ritter plädiert ebenfalls für einen Selbstversorgungsgrad von mindestens 60 Prozent. «Zumindest brutto ist ein solches Ziel realistisch – netto dürfte es zu schwierig sein», sagt er. Das Ziel lasse sich erreichen, ohne die ökologischen Leistungen der Landwirtschaft in Frage zu stellen. «Allein schon die Verringerung des Foodwaste hätte einen grossen Effekt», sagt Ritter.
Zudem dürfe das bestehende Kulturland nicht weiter reduziert werden. Dass 3,5 Prozent der Ackerflächen in Biodiversitätsförderflächen umgewandelt werden müssen, ist ihm ebenso ein Dorn im Auge wie der SVP. Beim Dünger-Absenkpfad will er es beim Stickstoff bei 10 statt 20 Prozent belassen. Und schliesslich sieht er auch in der Forschung einen Ansatz, um ertragsreichere Sorten zu züchten. Bei der Viehwirtschaft hingegen will er nicht ansetzen.
Ob der Bauernverband die Initiative unterstützen wird, hänge vom konkreten Initiativtext ab, sagt Ritter. Und er betont: «Neben dem Selbstversorgungsgrad müssen wir aber darauf achten, dass wir eine marktkonforme Vielfalt der Schweizer Lebensmittelproduktion erhalten oder gar fördern können.»