Die Eskalation im Nahen Osten, gewalttätige Demos in mehreren europäischen Städten, Bombendrohungen in Frankreich und am Basler Flughafen oder ein Terroranschlag in Brüssel: Die Sicherheitslage spitzt sich zu. Die Städte Zürich, Bern und Basel haben darauf reagiert und zumindest fürs kommende Wochenende Demo-Verbote erlassen.
Dabei stützen sich die Behörden auf eine umfassende Sicherheitsbeurteilung, die auch auf Erkenntnissen des Nachrichtendienstes basiert. «Die Sicherheitslage in ganz Europa bei Demonstrationen zum Konflikt im Nahen Osten verschlechtert sich von Tag zu Tag», schreibt die Kantonspolizei Basel-Stadt auf Anfrage. Im Sinne der Gleichbehandlung seien deshalb sämtliche Demonstrationen verboten. Aber auch, weil Kundgebungen ohne expliziten Bezug zum Nahen Osten Personengruppen anziehen könnten, die dennoch zu dieser Thematik demonstrieren wollten.
«Zum Schutz der Bevölkerung braucht es ein Verbot», sagt Johanna Bundi Ryser (60), Präsidentin vom Verband der Schweizer Polizeibeamten. Die Sicherheitslage werde durch erfahrene Spezialisten beurteilt. Sei das Risiko aus deren Sicht zu gross, müsse man das ernst nehmen. Weder die Politik noch die Polizei würden leichtfertig ein Demoverbot beschliessen. Doch: «Letztlich geht es um die Frage, welches Grundrecht wichtiger ist. Das Demonstrationsverbot – welches eine kleine Gruppe einfordert – oder der Schutz der Bevölkerung?», so Bundi.
Für Martina Bircher (39) ist der Fall klar. Die SVP-Nationalrätin und Angehörige der staatspolitischen Kommission sagt: «Das Grundrecht auf Sicherheit ist höher zu gewichten.» Natürlich sei bei jeder Demo-Anfrage eine Einzelprüfung notwendig. Doch angesichts der angespannten Lage unterstützt Bircher die Verbote.
«Versammlungsfreiheit ist ein hohes Rechtsgut»
Staatsrechtler kritisieren jedoch die Behörden: «Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sagt ganz klar, dass ein generelles Verbot von Versammlungen nur in Ausnahmefällen genehmigt werden darf», betont Helen Keller (59), Professorin am Institut für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht der Uni Zürich, gegenüber «20 Minuten». Die Versammlungsfreiheit sei ein hohes Rechtsgut.
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Ein Demo-Verbot sei nur dann zulässig, wenn die Behörden aufzeigen könnten, dass das Gewaltpotenzial so hoch ist, dass es nicht mehr möglich wäre, Teilnehmende und Dritte ausreichend zu schützen. Die Behörden müssten vorher weniger weitreichende Massnahmen prüfen wie eine Beschränkung der Personenzahl oder eine Einschränkung auf gewisse Orte.
«In einer Demokratie muss es genau umgekehrt sein»
In Basel sind sämtliche Demonstrationen von Freitagabend bis und mit Sonntag verboten – auch solche, die nichts mit dem Nahen Osten zu tun haben. Zürich verbietet bis Sonntagabend «Kundgebungen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt». Bern hingegen sagt, dass man ein Gesuch abgelehnt habe, da bereits viele Veranstaltungen in der Stadt geplant seien.
Sicherheitsdirektor Reto Nause (52) erklärt gegenüber Blick: «Eine Gruppe erhielt letztes Wochenende bereits die Möglichkeit, eine Pro-Palästina-Kundgebung mit mehreren Hundert Personen in Bern durchzuführen. Eine erneute Bewilligung haben wir nun an diesem Wochenende nicht gestattet.» Mit den eidgenössischen Wahlen, einem Hochrisiko-Fussballspiel und der Eröffnung des Lichtspektakels Rendez-vous Bundesplatz sei die Agenda der Stadt Bern «schon randvoll».
Die Stadt müsse zudem darauf vorbereitet sein, dass es am Sonntag spontane Demonstrationen als Reaktion auf die Wahlen gebe: «Es ist darum absolut legitim, an diesem Wochenende keine weiteren Demonstrationen in der Stadt Bern zuzulassen.» Wenn es nächste Woche wieder eine Demo-Anfrage gebe, werden man diese erneut prüfen. «Jedes Gesuch wird einzeln beurteilt», so Nause.
Für Staatsrechtler Andreas Glaser ist das eine Fehlgewichtung der Behörden: «Sie wollen YB und den SCB spielen lassen, politische Demonstrationen aber verbieten. In einer Demokratie muss es genau umgekehrt sein», wird er in «20 Minuten» zitiert. «Spassveranstaltungen müssten zugunsten politischer Versammlungen abgesagt werden. Dies ist aber nicht erwünscht.»
Rückendeckung erhalten die Städte hingegen von SP-Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (59). Sie gehe davon aus, dass die Entscheidungen aufgrund «fundierter Analysen"»gefällt wurden, sagte die Bundesrätin am Rande des EU-Innenministertreffens in Luxemburg. Sie vertraue den Kantonen und Städten, dass sie gut abgewogen hätten zwischen Meinungsäusserungsfreiheit und dem Verbot von islamophoben und antisemitische Demonstrationen.
Illegale Demonstrationen angekündigt
Trotz Verboten wird es in verschiedenen Städten zu Kundgebungen kommen. In den sozialen Medien wird für Donnerstagabend zu Palästina-Demonstrationen in Basel, Zürich und Lausanne aufgerufen. Wie die Kantonspolizei Basel-Stadt auf Anfrage mitteilt, ist bis dato kein Gesuch für eine Bewilligung eingegangen. «Die Polizei beurteilt die Lage laufend und wird, falls nötig, mit einem Dispositiv vor Ort sein», so Sprecher Stefan Schmitt.
Am Mittwochabend kam es auf dem Basler Marktplatz bereits zu einer unbewilligten Pro-Palästina-Demonstration. Sie wurde von einem grossen Polizeiaufgebot begleitet und verlief friedlich. (dba/rba/sie)