Wegen Kita-Gesetz
Sophie Hunger geigt dem Ständerat ihre Meinung

Von der Bühne an den Wickeltisch: Vor einem Jahr ist Sophie Hunger Mutter geworden. Ein Gespräch darüber, warum sie als solche quasi zu einer Zwangspause verdonnert wird, wieso sie sich öffentlich für das Kita-Gesetz stark macht und wie ihr Kind sie verändert hat.
Publiziert: 05.09.2023 um 21:01 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 12:01 Uhr
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Die Schweizer Musikerin Sophie Hunger ist seit einem Jahr Mutter.
Foto: imago images/Hartenfelser
Maja Zivadinovic
Schweizer Illustrierte

Dass Kinder kriegen oft mit grossen finanziellen Einbussen einhergeht, ist nicht die einzige Kehrseite der eigentlich sehr schönen Medaille. Bei der Kinderbetreuung sind es dann vor allem Mütter, die ihre Karriere zurückstecken und ihre Pensen runterfahren müssen. Ein Grund: Viele Eltern können es sich finanziell schlichtweg nicht leisten, ihre Kinder in die Kita zu geben.

Eine Vorlage des Nationalrats hatte im Frühling 2023 vorgesehen, während vier Jahren Kita-Kosten mit jährlich 770 Millionen Franken zu finanzieren. Damit würde der Bund bis zu 20 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines Betreuungsplatzes übernehmen.

Hunger hofft, dass der Ständerat merkt, dass er auf der falschen Spur ist

Der Nationalrat hatte sich mit 107 zu 79 Stimmen und fünf Enthaltungen für die «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» entschieden. Dagegen stimmten die SVP, die meisten Mitglieder der FDP-Fraktion sowie vereinzelte Mitte-Mitglieder.

Nun droht die Vorlage am Ständerat zu scheitern. Ein Fakt, der auch prominente Eltern dazu animiert, auf die Barrikade zu gehen. Unter anderem auch Sophie Hunger, die vor einem Jahr selber Mutter wurde. Die 40-Jährige nutzt die Reichweite ihrer Social-Media-Kanäle, um möglichst viele ihre Follower:innen zu animieren, die Petition zu unterzeichnen, die dafür plädiert, dass der Ständerat nochmal über die Bücher geht und in Anbetracht der vielen Unterzeichner:innen merkt, dass er auf der falschen Spur ist.

Der Ständerat hat die Kita-Vorlage torpediert.
Foto: Getty Images

Liebe Sophie, du äusserst dich öffentlich für das neue Kita-Gesetz. Was genau sind deine Beweggründe?
Für Familien in der Schweiz verschlingt die monatliche Rechnung für die Kinderkrippe durchschnittlich 35 Prozent des Einkommens – in keinem anderen Land der Welt müssen Eltern einen so grossen Teil ihres Lohnes für die familienergänzende Kinderbetreuung ausgeben. Der Nationalrat hat im Frühjahr vorbildlich gehandelt, ein schönes Gesetz vorgelegt, an dem über drei Jahre getüftelt wurde, mit Einbezug aller Parteien. Die Eltern sollten bei den Kitakosten vom Bund zu 20 Prozent entlastet werden. Und was macht jetzt der Ständerat? Er kommt als letzter durch die Tür und wirft alles ohne jede Not über den Haufen. Gefühlsmässig wie beim Filmende vom «Tanz der Vampire», man jubiliert über die gerettete Sarah, bis die Kamera hineinzoomt und die frischen Vampir-Spuren an ihrem Hals enthüllt. Oh nein! Darum müssen wir jetzt Druck machen und sie unbedingt umstimmen, dafür gibt es eine Petition, für diese werbe ich leidenschaftlich.

Gegner und Gegnerinnen behaupten, Kinderbetreuung sei Familien- und nicht Sache der Steuerzahler/des Staates. Wie hältst du dagegen?
Sie meinen, so wie Privatbanken retten nicht Aufgabe des Steuerzahlers ist? Kinder sind die Grundvoraussetzung für das Funktionieren unseres demokratischen Systems. Ohne die nächste Generation ist auch, bei aller Liebe, der Ständerat irgendwann nicht mehr von Nöten. Für jene, die solch philosophischen Gedanken anstrengend finden, kann man auch ganz nüchtern fragen: Wer genau zahlt einst Ihre Rente? Die Kinder von heute.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

Natürlich gibt es eine Rechnung zu bezahlen. Heute bezahlen sie die Eltern alleine, insbesondere die Mütter mit gratis Heim-Arbeit und ihrem Lohn- und Rentenausfall. Es wird in unserem reichen Land in allerlei Kuriositäten investiert und subventioniert bis sich die Balken biegen, dass es dann just bei den Familien «zu teuer» ist, ade merci, nicht mit mir.

In deinem Post schreibst du, du musstest deine Karriere unterbrechen. Was genau sind die Gründe und was bedeutet der Unterbruch finanziell für deine kleine Familie?
Kinder kriegen bedeutet für jede Frau die totale Unterbrechung. Die Frage ist nur: wie lange? In den fetten Jahren habe ich glücklicherweise vieles im Garten vergraben, ich kann es mir leisten länger zu warten als vorgesehen. Aber mir wurde jetzt bewusst, wie es für alle anderen ist, die dieses Privileg nicht haben. Genau jetzt nach der Geburt des ersten Kindes, beginnt der strukturelle Absturz. Es ist real, es ist kein Witz. Man verliert den beruflichen Anschluss, die Wettbewerbsfähigkeit und auch ein wenig den Humor.

Aber wir müssen uns damit sicher nicht zufriedengeben. Die Russen versuchen, mit ihren Schrottraketen auf den Mond zu fliegen. Natürlich kriegen wir es hin eine Familienpolitik zu gestalten, die den Eltern Flügeln verleiht, glücklich macht und die Gleichberechtigung fördert. Mindestens aber sollten wir die Eltern nicht noch für ihre Leistung bestrafen. Ein bisschen mehr Respekt gegenüber der nächsten Generation würde dem Ständerat gut stehen.

Wie stehst du zu 14 Wochen Mutterschaftsurlaub in der Schweiz? Wie zu vier Wochen Vaterschaftsurlaub?
Man kann das belächeln, aber ich persönlich anerkenne die grosse Anstrengung, die das die konservative Schweiz gekostet hat. Drücken wir weiter in die Richtung, die Zukunft ist auf unserer Seite. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist schliesslich keine Utopie! Es wird bereits in beneidenswert erfolgreichen Staaten praktiziert, siehe Skandinavien.

Was, abgesehen vom neuen Kita-Gesetz könnte die Schweiz in Sachen Kinderbetreuung noch besser machen?
Je besser die Kitas sind, je besser gehts den Kindern. Also Qualität erzwingen, gut ausbilden, gute Löhne zahlen. Aus glücklichen Kindern werden wunderbare Mitmenschen.

Du bist selber seit einem Jahr Mutter. Wenn ich deinen Post richtig interpretiere, geht dein Kind nicht in die Kita? Was sind deine Beweggründe pro und contra Kita?
Das ist, weil es in unserer Gemeinde am Genfersee keine Kita gibt. Die Strukturen sind nicht da, ich habe unserem Gemeinde-Präsidenten am Telefon so den Marsch geblasen, der will gar nicht mehr mit mir reden. Er sagt, es habe keinen Platz und sei zu kompliziert. Derweil fliegt über uns die Schweizer Luftwaffe elegante Chandellen, die Gesetzte der Physik umgehend - was soll ich sagen, es ist auch ein Generationenkampf. Die Ständeräte sind vielleicht zu weit weg von unseren Problemen. Ich warte indes und kämpfe für diese Petitionen. Ob wir es schaffen den Ständerat umzustimmen? Wir müssen es schaffen sie umzustimmen!

Wie organisiert ihr die Kinderbetreuung? Bist du zurzeit Vollzeit-Mama?
Ja, das kann man so sagen.

Wann willst du zurück auf die Bühne und wie wirst du dann die Betreuung organisieren?
Das wird sich zeigen. Ich bin etwas ratlos, aber gleichzeitig geht ja nächstes Jahr ohnehin Taylor Swift auf Tour, ich denke, da können alle anderen getrost zu Hause bleiben.

Wie hast du dich verändert, seit du Mutter bist?
Also Miss BMI 2023 werde ich sicher nicht. Mit anderen Worten, ich bin viel dicker als früher. Dafür habe ich gelernt, geduldig zu sein, eine wahre Engelsgeduld habe ich mir antrainiert. Und kochen kann ich jetzt, Brei zum Beispiel.

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