Gegen den Zeitgeist
Ständerat leistet Widerstand

Anders als der Nationalrat ist der Ständerat eher konservativer geworden. Dieser Trend könnte sich im Herbst noch verstärken.
Publiziert: 20.08.2023 um 10:38 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2023 um 14:41 Uhr
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Klub der Konservativen: Der Ständerat tickt anders als der Nationalrat.
Foto: Keystone
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Camilla AlaborRedaktorin

Junge Eltern kostet er eine Stange Geld: der Kita-Platz für den Nachwuchs. Wer zwei Kinder hat, bezahlt in der Stadt Zürich für drei Kita-Tage rasch über 3000 Franken pro Monat. Denn anders als etwa in Deutschland wird die Kinderbetreuung hierzulande kaum subventioniert.

Der Nationalrat will das ändern und hat dafür ein Paket von über 700 Millionen Franken pro Jahr gutgeheissen. Dies soll es den Kantonen erlauben, Kita-Plätze zu verbilligen. Doch schon heute ist absehbar: Im Ständerat wird dieses Vorhaben auf grossen Widerstand stossen. Der Betrag zur Senkung der Kita-Kosten dürfte weiter runtergeschraubt werden. Für eine Mehrheit der Ständeräte hat das Anliegen keine Priorität.

Ständerat wurde konservativer

Das Geschäft zeigt exemplarisch: Der Graben zwischen dem progressiven Teil der Bevölkerung und dem konservativen Ständerat ist gross. Gerade in gesellschaftspolitischen Fragen hat in einem grossen Teil der Gesellschaft ein Umdenken stattgefunden – der Ständerat hinkt dieser Entwicklung hinterher.

Mehr noch: Während der Nationalrat vor vier Jahren von einer lila-links-grünen Welle erfasst wurde, ist der Ständerat eher konservativer geworden. Absprachen zwischen Bürgerlichen und Linken, wie sie die Jahre von 2015 bis 2019 prägten – Staf-Unternehmenssteuerreform, AHV-Reform 2020, CO₂-Gesetz –, sind in dieser Legislatur Mangelware.

Dafür sorgte der Ständerat regelmässig für Schlagzeilen, weil gewichtige Politiker bei Themen wie der Samenspende oder dem Sexualstrafrecht einen konservativen Kurs fahren. Nach längerem Hin und Her obsiegte in beiden Fällen eine progressive Mehrheit knapp. Bei migrationspolitischen Fragen hingegen blieb das bürgerliche Lager unbeweglich – so dürfen Asylsuchende bei einem Negativentscheid ihre Lehre nicht beenden oder Kantone keine Containerdörfer für Flüchtlinge bauen.

Mitte ist oft das Zünglein an der Waage

Die konservative Grundstimmung geht nicht zuletzt auf die Mitte-Partei zurück. Bei umstrittenen Geschäften entscheidet sie, welches Lager gewinnt. Und hier fand 2019 eine Verschiebung statt. Figuren wie Konrad Graber (65), der in sozial- oder umweltpolitischen Fragen auch mal mit der Linken Lösungen suchte, wurden durch konservative Vertreter wie Beat Rieder (60, VS), Heidi Z’graggen (57, UR) oder Daniel Fässler (62, AI) ersetzt. Die konservative Wende hat durch die Wahl von SVP-Politikerin Esther Friedli (46) im März Auftrieb erhalten – sie ersetzte den Gewerkschafter Paul Rechsteiner (70, SP). Und der Trend könnte sich im Herbst fortsetzen. Im Kanton Solothurn dürfte die SP ihren Sitz an die FDP verlieren; im Tessin wackelt der linke Sitz ebenfalls.

Der Graben zwischen progressivem Zeitgeist von 2019 und dem Kurs des Ständerats widerspiegelt sich im Wahlbarometer des Forschungsinstituts Sotomo. Der Anteil der Bevölkerung, der den Ständerat als zu rechts ansieht, ist in den letzten vier Jahren deutlich gewachsen – von 31 Prozent auf aktuell 42 Prozent.

Auch Ständerat wandelt sich

Politgeograf Michael Hermann (51) sieht darin nicht per se ein Problem. «Der Ständerat ist eine Art Rat der Weisen, der weniger auf den Zeitgeist reagieren soll als der Nationalrat», erklärt der Sotomo-Geschäftsführer. Das sei so gewollt und habe auch Vorteile. «Das Zweikammersystem produziert weniger Schnellschüsse, als wenn der Nationalrat alleine entscheiden würde.» Wie Hermann ausführt, ist die kleine Kammer relativ immun gegen kurzfristige Veränderungen: «Das gilt für Strömungen von links wie von rechts.» Denn nicht nur Links-Grün, auch die SVP tut sich bei Ständeratswahlen schwer: Das System leistet Widerstand.

Aus Sicht von FDP-Ständerat Josef Dittli (66, UR), ist die kleine Kammer in gesellschaftspolitischen Fragen tatsächlich etwas zurückhaltender als die Bevölkerung. Aber er fügt an: «Der gesellschaftliche Wandel kommt auch im Ständerat an – selbst wenn es etwas länger braucht.» Entsprechend kann Dittli keinen Graben zwischen Rat und Stimmvolk erkennen, im Gegenteil: «Der Ständerat ist sogar näher beim Volk als der Nationalrat.» Das zeige sich etwa beim Stimmrechtsalter 16, das vom Nationalrat gutgeheissen wurde. «Im Ständerat hat das nicht den Hauch einer Chance», meint Dittli. «So wie beim Stimmvolk in den meisten Kantonen.»

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