Die Kantone wehren sich gegen die Gesetzesflut aus Bern. Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) forderte angesichts mehr als 100'000 pendenten Strafverfahren, dass der Bund die Folgekosten neuer Gesetze übernehmen muss.
«Und wenn nicht, müssten die Kantone ein Vetorecht haben», sagte der Sekretär der KKJPD-Strafrechtskommission, Benjamin Brägger, in einem Interview mit den Tamedia-Titeln. «Die Kantone sind kaum mehr in der Lage, den schnellen Rhythmus der Gesetzgebung des Bundesparlaments im Vollzug der Strafverfahren umzusetzen», erklärt er. Der Pendenzenberg bei den Strafverfahren drohe noch mehr anzuwachsen und die Justiz an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Missstand mit Strafrecht lösen
Heute versuche man, jeden sozialen Missstand mit dem Strafrecht zu lösen, so Brägger. Das sei aber das falsche Mittel. Soziale Probleme müsse man mit Sozialhilfe, Sozialarbeit und Bildung angehen. Das Strafrecht sollte letztes Mittel bleiben.
«Stattdessen wird oft strafrechtliche Symbolpolitik betrieben. Parlamentarier glauben, dass sich mit einem Gesetz ein Problem lösen lässt. Dabei denken sie kaum an den Gesetzesvollzug, der sehr aufwendig und kostspielig ist», meint Brägger weiter.
Als politisches Thema entdeckt
Aber die Parteien hätten schon länger das Strafrecht als politisches Thema entdeckt, betont Brägger. Damit könne auch Wahlkampf betrieben werden. «Parlamentarier denken kaum an die grossen personellen und finanziellen Aufwände, die es braucht, um ein Gesetz zu vollziehen», gibt er zu bedenken.
Neue Phänomene wie Cyberkriminalität gelte es natürlich zu regeln, so Brägger. Aber darüber hinaus würden eben auch Zeitgeist-Phänomene unter Strafe gestellt, weil dies politisch opportun erscheine. So hätten selbst Fachleute Mühe, heute den Überblick zu bewahren. «In den letzten zehn Jahren wurde das Strafgesetzbuch gut 50-mal revidiert – also durchschnittlich mehr als fünfmal pro Jahr.» Dabei sollte eben genau der Rechtsbereich Strafrecht für alle verständlich sein, da sich alle Bürgerinnen und Bürger danach richten sollen. (SDA)