Gerhard Pfister ist auf allen Kanälen (59). Der Mitte-Präsident sorgte in den letzten Wochen wiederholt mit unerwarteten Positionen für Aufsehen. Auf Twitter warf er dem Bundesrat wegen verweigerter Waffenexporte unterlassene Hilfeleistung vor, im Radio SRF sprach er sich grundsätzlich dafür aus, den russischen Rohstoffhandel über die Schweiz zu stoppen. Und nun überrascht der Zuger Nationalrat im Interview mit der «NZZ am Sonntag» mit Aussagen, die auch aus dem Mund einer Juso-Präsidentin kommen könnten.
«Besteuern wir nicht Arbeit zu stark und Kapital zu wenig?», fragt Pfister darin. Er und seine Partei wollten eine Politik machen, die Verantwortung übernehme – «für sozial Schwächere oder für die Demokratie». So plädiert der Mitte-Präsident dafür, dass die Schweiz nur noch Freihandelsabkommen mit demokratischen Staaten abschliesst. Das Abkommen mit China, dem er 2013 noch zugestimmt hat, schaue er heute «sehr viel kritischer» an.
Rechtskurs ist Vergangenheit
Für einen Bürgerlichen sind diese Äusserungen mehr als bemerkenswert. Und ganz besonders für Pfister, dem konservativen Zentralschweizer, der bei seiner Wahl zum Parteipräsidenten noch am äussersten rechten Rand in der politischen Mitte (damals noch CVP) politisierte – und zu Beginn die Partei auch in diese Richtung lenkte. Er versuche, die Partei «wieder etwas näher bei der Wirtschaft zu positionieren», sagte Pfister damals.
Doch das ist Vergangenheit. Unter Pfister verabschiedete sich die Partei 2020 nicht nur vom «Christlich» im Namen. Vergangenes Jahr sinnierte er unter dem Eindruck der Corona-Pandemie auch laut über eine neue Form des Kapitalismus, der sich seine Partei verpflichten wolle. Wenige Wochen später gab die Mitte zu reden, weil Ständerat Beat Rieder (59) forderte, mit einer Börsensteuer – eigentlich einem linken Rezept – das Milliardenloch in der AHV zu stopfen.
«Für Rechte ist Pfister eine Enttäuschung»
Der Ukraine-Krieg hat Pfisters Mitte-Partei nun offenbar einen weiteren Linksdrall gegeben. Er selbst sagt, es sei keine linke Position, die er vertrete, «sondern soziale Marktwirtschaft». Mehr will er zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Erst müsse er «konzeptionell einen Schritt weiter kommen», so Pfister.
Einer, den die Haltung Pfisters freut, ist Stefan Müller-Altermatt (45). Der Mitte-Nationalrat ist Präsident der Christlich-Sozialen, ein Flügel der ehemaligen CVP, der explizit Mitte-Links-Wähler ansprechen will. «Für Rechte ist Pfister, der Wertepolitiker, sicher eine Enttäuschung», stellt der Solothurner fest – das sei aber schon immer so gewesen. Das soziale Gewissen der Mitte und ihres Präsidenten komme nun, in schwierigen Zeiten, wohl einfach klarer zum Vorschein. «In einer Wohlfühlatmosphäre ist es weniger nötig», sagt Müller-Altermatt.
Gegner werfen ihm Wahlkampf-Taktik vor
Seine politischen Kontrahenten werfen Pfister derweil vor, mit seinen Forderungen und überraschenden Statements vor allem Aufmerksamkeit generieren zu wollen. Mit dezidiert linken Positionen versuche er sich von den anderen bürgerlichen Parteien abzugrenzen. Taktik im Hinblick auf die Wahlen, die in anderthalb Jahren anstehen.
Müller-Altermatt findet es nicht verkehrt, wenn die Mitte ihre soziale Seite zeigt. Die soziale Marktwirtschaft sei schliesslich eine Errungenschaft der Christdemokratie, betont er. «Jetzt müssen wir uns darauf rückbesinnen und unsere Werte betonen.»
Pfister selbst sagte nach seinem Amtsantritt an der Spitze der Mitte: «Ich werde alles tun, was der CVP Erfolg bringt.» Dazu gehörte ein neuer Name für die Partei. Und jetzt setzt er wohl auch neue Akzente.