Gerhard Pfister (59) ist dem Bundesrat gehörig an den Karren gefahren. Am Sonntag hatte der Mitte-Präsident der Regierung «unterlassene Hilfe an die Ukraine» vorgeworfen. Der Grund: Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat es Deutschland untersagt, Munition aus Schweizer Produktion an die Ukraine weiterzugeben – dies mit Verweis aufs strenge Kriegsmaterialgesetz.
Die Parteispitze der Mitte aber erwartet, dass der Bundesrat nun endlich Farbe bekennt. Die Schweiz könne nicht ständig abseitsstehen und sich hinter der Neutralität verstecken.
In der Ukraine werde auch die Schweiz verteidigt
«Der Westen wird derzeit in der Ukraine mitverteidigt – auch die Schweiz», schob Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (43) nach. Im Interesse des Landes könne der Bundesrat daher über die Bundesverfassung das Kriegsmaterialgesetz umgehen und Lieferungen von Schweizer Waffenbestandteilen durch andere Staaten doch noch genehmigen.
Die Forderung ist allerdings auch innerhalb der Partei heftig umstritten. Die Mitte ist zerrissen.
Auch Amherd würde die Neutralität gefährdet sehen
Nun erhält die Mitte-Spitze auch von der eigenen Bundesrätin eine Abfuhr. Das Vorgehen von Parteipräsident Pfister sei mit Verteidigungsministerin Viola Amherd (59) nicht abgesprochen gewesen, stellt deren Sprecher Renato Kalbermatten klar – und schiebt diplomatisch nach: «Herr Pfister darf sich als Mitte-Präsident selbstverständlich frei äussern.»
Inoffiziell ist aus dem Verteidigungsdepartement VBS allerdings zu hören, dass Amherd vom forschen Vorgehen ihrer Parteispitze wenig halte. Ohnehin mische sie sich nicht in die Angelegenheiten des Seco von Bundesratskollege Guy Parmelin (62) ein.
Bundesrat wird kaum von Haltung abweichen
Auch habe sich der Gesamtbundesrat gar nie mit den Anfragen aus Deutschland zur Lieferung von Schweizer Munition an die Ukraine befasst. Und: Die Regierung sehe auch keinen Grund, von der bisherigen Zurückhaltung abzuweichen. So soll auch Amherd selber starke Bedenken haben, wenn es um Munitionslieferungen an einen kriegsführenden Staat geht, ist aus ihrem Umfeld zu hören. Mit der Schweizer Neutralität sei das kaum vereinbar.
Damit reiht sich Verteidigungsministerin Amherd im Lager der Skeptiker ein. «Wir haben das Gesetz erst gerade verschärft, das Gesetz gilt, und an das Gesetz haben wir uns zu halten», argumentierte Nationalrat Martin Candinas (41). Auch für Ständerätin Andrea Gmür (57) würde die Lieferung von Munition an die Ukraine die bewaffnete Neutralität der Schweiz verletzen.
Das sieht Jörg Künzli (58) genauso. Für den Ordinarius für Staats- und Völkerrecht der Uni Bern würde die einseitige Belieferung eines kriegsführenden Staates dem Neutralitätsrecht widersprechen: «Wenn man das einmal macht, dann ist die Neutralität, so wie sie die Schweiz versteht, weg.» (dba)