Waffenlieferungen oder Neutralität?
Ein Riss geht durch die Mitte

Die Schweiz lehnt den Export von Munition über Deutschland in die Ukraine ab. Nun macht die Spitze der Mitte-Partei Druck auf den Bundesrat. Doch selbst in den eigenen Reihen ist das Thema umstritten.
Publiziert: 26.04.2022 um 00:07 Uhr
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Aktualisiert: 26.04.2022 um 06:33 Uhr
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Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hofft auf mehr Unterstützung durch den Westen – gerade auch über Waffenlieferungen.
Foto: IMAGO/ZUMA Wire
Sophie Reinhardt und Daniel Ballmer

Die Mitte-Partei macht Druck auf den Bundesrat. Am Sonntag hatte Parteipräsident Gerhard Pfister (59) der Regierung sogar «unterlassene Hilfe an die Ukraine» vorgeworfen. Der Grund: Das zum Wirtschaftsdepartement von Guy Parmelin (62) gehörende Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat es Deutschland untersagt, Munition aus Schweizer Produktion an die Ukraine weiterzugeben – dies mit Verweis auf das strenge Kriegsmaterialgesetz.

Die Mitte aber erwartet, dass der Bundesrat nun endlich Farbe bekennt. So ist es aus dem Umfeld der Parteispitze zu hören. Demnach könne die Schweiz nicht ständig abseitsstehen und sich hinter der Neutralität verstecken.

In der Ukraine werde auch die Schweiz verteidigt

«Der Westen wird derzeit in der Ukraine mitverteidigt – auch die Schweiz», unterstützt Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (43) seinen Parteipräsidenten. Es gehe hier also durchaus um unsere Landesinteressen. Das wiederum gewähre dem Bundesrat juristisch die Möglichkeit, über die Bundesverfassung das Kriegsmaterialgesetz zu umgehen und Lieferungen von Schweizer Waffenbestandteilen durch andere Staaten doch zu genehmigen.

«Es handelt sich dabei um einen politischen Entscheid», vertritt Bregy die gleiche Meinung wie sein Mitte-Chef: Der Bundesrat könne Deutschland die Lieferungen in die Ukraine ermöglichen – wenn er wolle. «Angesichts dieser ausserordentlichen Lage erwarte ich vom Bundesrat , dass er solche Möglichkeiten zumindest eingehend prüft und seinen Entscheid dann auch klar begründet», so Bregy.

Auch Mitte-Parlamentarierin und Juristin Elisabeth Schneider-Schneiter (58) möchte eine Diskussion um die Waffenexporte anstossen: «Es ist gerechtfertigt, Kriegsmaterial zu exportieren, wenn dies unserer Sicherheit dient.» Man müssen nun alles daransetzen, die Schweizer Werte zu verteidigen.

«Das finde ich schier unerträglich!»

Sogar Martin Landolt (53), der an vorderster Front für die Korrektur-Initiative und damit für schärfere Regeln für Kriegsmaterial-Exporte gekämpft hatte, vertritt diese Haltung. Der einstige BDP-Präsident und heutige Mitte-Nationalrat ist überzeugt, dass trotz Kriegsmaterialgesetz indirekte Lieferungen juristisch möglich seien – sofern nicht das Risiko bestehe, dass das Material an einen unerwünschten Empfänger weitergegeben werde. Landolt: «Was aktuell ausgerechnet in Bezug auf die Ukraine ‹unerwünscht› sein soll, verschliesst sich meinem Verständnis.»

Ohnehin aber könne der Bundesrat auch die dafür im Kriegsmaterialgesetz vorgesehenen ausserordentlichen Umstände geltend machen. «Es ist deshalb unverständlich, wenn ausgerechnet das Seco, das ansonsten mit beiden Händen Waffen in alle Herren Länder exportiert, sich jetzt ziert», findet Landolt. «Das finde ich schier unerträglich!»

Auch die Mitte selber ist zerrissen

Doch selbst die Mitte-Partei ist sich nicht einig. «Wir haben das Kriegsmaterialgesetz erst gerade verschärft, das Gesetz gilt, und an das Gesetz haben wir uns zu halten», wendet Nationalrat Martin Candinas (41) ein. Zwar könne der Bundesrat gestützt auf die Bundesverfassung ohne Einverständnis des Parlaments durchaus anders entscheiden. «Aber ich finde es richtig, dass er das nicht macht. Gesetze gelten in guten wie in schlechten Zeiten.»

Das sehen auch Ständerätin Andrea Gmür (57) oder Nationalrat Lorenz Hess (60) so. «Der Wunsch von Gerhard Pfister ist für mich mehr als verständlich», kommentiert der Berner. «Die meisten von uns teilen das Gefühl, dass man der Ukraine helfen sollte.»

«Dann ist die Neutralität weg»

Das Parlament habe den Export von Kriegsmaterial aber eben erst verschärft, betont Hess: «Die Lieferung von Munition an die Ukraine liegt schlicht nicht drin.» Sie liesse sich auch kaum mit der bewaffneten Neutralität der Schweiz vereinbaren, gibt Gmür zu bedenken.

Zu diesem Schluss kommt auch Jörg Künzli (58). Der Ordinarius für Staats- und Völkerrecht der Uni Bern hält es zwar für juristisch möglich, dass sich der Bundesrat gestützt auf die Verfassung über das Kriegsmaterialgesetz hinwegsetzt. Die einseitige Belieferung eines kriegsführenden Staates widerspreche aber dem Neutralitätsrecht. Und: «Wenn man das einmal macht, dann ist die Neutralität, so wie sie die Schweiz versteht, weg.»

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