Wegen Arbeitsverbot für Frauen
Schweiz erwägt Entwicklungshilfe-Stopp für Afghanistan

Weil das Taliban-Regime die Mitarbeit von Frauen in NGOs verbietet, stellen erste Hilfswerke die Arbeit im Land ein. Nun prüft der Bund, ob und wie er seine finanzielle Unterstützung weiterführt.
Publiziert: 08.01.2023 um 13:08 Uhr
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Die Taliban verbieten Frauen die Arbeit in Hilfswerken. Erste NGOs haben sich deshalb bereits aus dem Land zurückgezogen.
Foto: keystone-sda.ch
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Die Taliban sabotieren die Entwicklungshilfe im eigenen Land. Mit ihrem Beschluss eines Arbeitsverbots für Frauen in NGOs setzen sie Menschenleben aufs Spiel. Schon jetzt stehen Millionen vor einer Hungersnot, mehr als die Hälfte der Bevölkerung braucht humanitäre Hilfe zum Überleben. «Wir werden sie verlieren, sie werden sterben», warnte Inger Ashing, CEO von Save the Children International. In den letzten Tagen mussten sich erste Hilfswerke von der Unterstützung der Ärmsten zurückziehen. Weil die Islamisten Hebammen, Ärztinnen und Sozialarbeiterinnen an der Arbeit hindern.

Deutschland stellt humanitäre Hilfe vorerst ein

Wie gehts weiter? Das fragt sich auch der Bund, der jährlich rund 30 Millionen Franken für Projekte in Afghanistan investiert. Deutschland hat angekündigt, vorerst keine weiteren Gelder für humanitäre Hilfe im Reich der Gotteskrieger mehr zu bewilligen. Eine Option, die auch beim Bund zur Debatte steht. Pierre-Alain Eltschinger vom Aussendepartement (EDA): «Es stellen sich weitreichende Fragen, wie und ob unter diesen Umständen die wichtige Not- und Überlebenshilfe fortgesetzt werden kann und soll.»

Mögliche Konsequenzen dieser Entscheide für die Not leidende Bevölkerung sind dramatisch. Weder die Schweiz noch ein anderer Staat werde sie leichtfertig fällen, sagt Eltschinger. «Die Schweiz spricht sich für das weitere Vorgehen eng mit den Geberländern, der Uno und ihren Partnern vor Ort ab.»

EDA führte mehrere Gespräche mit den Taliban

Ob und wie viel Schweizer Geld an Projekte vor Ort fliesst, dürfte davon abhängen, wie Hilfswerke ihre Arbeit in Afghanistan weiterführen können. Ziehen die Taliban das Arbeitsverbot bedingungslos durch, werden viele NGOs ihre Tätigkeiten einstellen müssen.

Hinter den Kulissen versuchen westliche Geberstaaten, die Taliban zum Umdenken zu bewegen. Auch die Schweiz hatte seit der Machtübernahme der Taliban 2021 mehrmals Kontakt mit den neuen Machthabern in Kabul.

Aussendepartements-Sprecher Eltschinger bestätigt gegenüber SonntagsBlick: «Das EDA hat wiederholt direkt im Gespräch mit Taliban-Vertretern die tiefe Besorgnis über die einschneidenden Entscheide zum Ausdruck gebracht.»

Man habe die Taliban aufgefordert, Massnahmen zur Beschneidung der Rechte von Frauen, Mädchen und Minderheiten rückgängig zu machen. Im Mai 2022 kam es in der katarischen Hauptstadt Doha gar zu einem persönlichen Treffen zwischen Vertretern des Bundes und der Taliban.

IKRK über Arbeitsverbot besorgt

Zu den wichtigsten Hilfsorganisationen in Afghanistan gehört das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Als dessen Mediensprecher ist der Schweizer Lucien Christen in Kabul. Er sagt: «Wir sind sehr besorgt über die jüngste Ankündigung der Taliban.»

Noch sei nicht klar, wie sich das Arbeitsverbot für Frauen auf die Arbeit des IKRK auswirken wird. «Derzeit laufen alle unsere Operationen weiter.» Um weiterhin Nothilfe leisten zu können, sei die uneingeschränkte Beteiligung der Frauen jedoch notwendig. «Der Ausschluss der Frauen von humanitären Aufgaben wird katastrophale Folgen haben.» Am verheerendsten wäre es für das Gesundheitswesen, das ohne Helferinnen kollabieren würde.

Derweil steigt der Druck auf die Taliban. Nach dem Uno-Sicherheitsrat haben nun auch die Staaten der EU sowie zwölf weitere Länder die Islamisten aufgefordert, das Arbeitsverbot für Frauen in NGOs sofort zurückzunehmen.
Man sei «zutiefst besorgt», heisst es in einer gemeinsamen Erklärung, an deren Abfassung sich auch die Schweiz beteiligt hat.

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