Gastkommentar zu Afghanistan
Die Extremsten der Extremen haben sich durchgesetzt

Die «neuen», vermeintlich moderaten Taliban sind genauso radikal wie ihre Vorgänger in den 90er-Jahren. Sie schliessen die Frauen konsequent aus der Gesellschaft aus – mit verheerenden Folgen, etwa für das Gesundheitssystem.
Publiziert: 01.01.2023 um 11:05 Uhr
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Aktualisiert: 01.01.2023 um 19:47 Uhr
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Emran Feroz ist österreichisch-afghanischer Journalist, Kriegsreporter und Autor.
Foto: imago images/teutopress
Emran Feroz

Als Sumeyye erfuhr, dass sie vom nächsten Tag an nicht mehr die Vorlesungen ihrer Universität besuchen dürfe, wusste sie, dass sich jenes Gerücht, das bereits wochenlang gestreut wurde, nun bewahrheitet hatte. Die militant-islamistischen Taliban, die in Afghanistan seit August 2021 erneut an der Macht sind, setzten in der vergangenen Woche ein landesweites Dekret durch, das allen Afghaninnen den Gang zur Universität untersagt.

Kurz darauf folgte auch ein Berufsverbot für Frauen, die für Nichtregierungsorganisationen tätig sind. Sumeyye aus der nördlichen Stadt Masar-e Scharif hatte noch das letzte Semester ihres Medizinstudiums vor sich. Jetzt muss sie zu Hause bleiben. «Ich wünschte, ich wäre hier nicht geboren worden», sagt die 23-Jährige während eines Gesprächs mit SonntagsBlick.

Für sie ist klar: Das Verbot ist dauerhaft. Die «neuen» Taliban seien weiterhin die alten und sie pflegten abermals jene frauenfeindliche Politik, für die sie bereits in den 1990er-Jahren während ihrer ersten Regimezeit bekannt waren. «Ärztin zu werden, war mein Traum. Doch ich habe hier keine Zukunft mehr», meint Sumeyye.

Entscheidungen der Taliban rein frauenfeindlicher Natur

Ähnlich sehen es auch die Männer in ihrer Familie. Ihr Vater, ein streng praktizierender Muslim, der in den 80er-Jahren aufseiten der islamistischen Mudschahedin gegen die Sowjetarmee kämpfte und heute selbst als Arzt arbeitet, ist ausser sich. «Wir brauchen uns nicht darüber wundern, dass wir ein schlechtes Image haben, wenn wir von solchen Männern regiert werden. Die Entscheidung der Taliban hat keinerlei islamische Grundlage, sondern ist lediglich frauenfeindlicher und totalitärer Natur.» Auch Ahmad, Sumeyyes Bruder ist aufgrund der jüngsten Entscheidung der Taliban deprimiert. «Wir sind diesen Fanatikern ausgesetzt und können nichts machen. Das Leben in Afghanistan ist kaum noch lebenswert», sagt er.

Die Machthaber selbst sehen das anders. Während eines Interviews mit dem afghanischen Staatsfernsehen, das unter ihrer Kontrolle steht, behauptete Neda Mohammad Nadeem, der neue Minister für höhere Bildung des Taliban-Regimes, dass die «islamischen Grundlagen» für die Bildung von Frauen geschaffen werden müssen. So werde gegenwärtig die Geschlechtertrennung nicht eingehalten und Frauen würden sich auf dem Campus nicht allein, sprich, nicht «ohne männliche Begleitung» bewegen. Ähnliche Gründe nannten die Taliban im Frühling im Zusammenhang mit der Schliessung von Mädchenschulen. Noch immer hoffen viele Menschen, dass die Schulen irgendwann wieder öffnen und sich die Lage verbessern wird.

Rückschritt mit verheerenden Folgen

Jetzt fand allerdings ein weiterer Rückschritt statt, der verheerende Folgen haben wird. Die Zahl der Ärztinnen wird in den nächsten Jahren zurückgehen. Die Kindersterblichkeitsrate wird steigen. Neben den vorhersehbaren Folgen im Gesundheitssystem kommen psychische Krankheiten wie Depressionen sowie eine erhöhte Suizidrate hinzu.

Viele Afghanen wollen sich deshalb mit den Entscheidungen der Taliban nicht zufriedengeben. «Die genannten Gründe sind nur Vorwände. Sie wollen Mädchen aus dem Bildungssystem verbannen», meint etwa Bezhan Karimi, ein Student an der Universität von Kabul. Er beschreibt, wie bewaffnete Talibankämpfer Studentinnen den Zugang zu den Hörsälen verwehrten. In einigen Fällen wandten sie auch Gewalt gegen die Mädchen an. Die Fortführung der frauenfeindlichen Politik sei vorhersehbar gewesen. Seit ihrer Rückkehr hätten die Taliban an Karimis Universität permanent nach Gründen gesucht, um Mädchen den Besuch zu verweigern.

Bildungsverbot für Frauen sorgt für landesweite Kritik

Die jüngsten Entscheidungen der Taliban, den Frauen den Gang zur Universität und die Tätigkeit für eine NGO zu verbieten, lösten landesweit Proteste aus. Männliche Studierende brachen in einigen Landesteilen demonstrativ ihre Prüfungen ab, um gemeinsam mit den ausgeschlossenen Frauen zu demonstrieren. Hinzu kommen die Kündigungen von mehreren Professoren und Dozenten.

Selbst innerhalb der Taliban gibt es Kritik, wie zum Beispiel von Abdul Baqi Haqqani, dem ehemaligen Minister für höhere Bildung, der sich gegen das Bildungsverbot für Frauen und Mädchen aussprach. Die Entwicklung der jüngsten Tage zeigt jedoch, dass sich innerhalb der Taliban die extremen Kräfte durchsetzen und dass der oberste Führer der Gruppierung, Hibatullah Achundsada, ein absoluter Hardliner ist, der nichts gemein hat mit den moderat wirkenden Taliban, die im August 2021 von der internationalen Presse hofiert wurden.

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