Es ist ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen zu geben scheint. Am 15. August 2021 überrollten die gefürchteten Taliban Kabul, übernahmen die Herrschaft in Afghanistan. Die Evakuierung am Flughafen von Menschenmassen in Panik versinkt in tödlichem Chaos. Am Donnerstagnachmittag dann folgten zwei Bombenanschläge. Mindestens 170 Menschen wurden getötet und 200 verletzt.
Am Airport Hamid Karzai zündet ein Selbstmordattentäter die Sprengstoffweste, nur fünf Meter vom Abbey Gate entfernt. Vor dem «Tor zur Freiheit» stehen Tausende, hoffen auf Einlass zum rettenden Rollfeld.
Die zweite Explosion geht vor dem Hotel Baron hoch, einem britischen Stützpunkt. Die Detonationen zerreissen Familien mit Kindern in Fetzen und töten 13 US-Soldaten. Aber auch 28 Kämpfer der Taliban sterben. Zum Blutbad bekennt sich der afghanische Ableger des sogenannten Islamischen Staats. Der Name der Splittergruppe: Islamischer Staat – Khorasan, kurz IS-K.
Es könnten weitere Anschläge folgen
General Kenneth F. McKenzie (64) rechnet mit weiteren Anschlägen am Flughafen. Es könnte Autobombenattentate oder Raketenangriffe geben, so der Kommandant des United States Central Command gegenüber US-Medien. Die Lage in Kabul gerät zunehmend aus dem Ruder und US-Präsident Joe Biden (78) in die Kritik.
Dennoch hält das Weisse Haus an den Evakuierungen bis zum 31. August fest. Bislang hätten die US-Luftwaffe und ihre Verbündeten mehr als 100'000 Menschen aus Kabul ausgeflogen. «Wir lassen uns nicht einschüchtern», sagt der Präsident während einer Pressekonferenz. «Wir werden die Terroristen jagen, ihr Vermögen, ihre Führungskräfte und ihre Einrichtungen treffen.» Die neuen Verbündeten im Kampf gegen den IS könnten ausgerechnet die Taliban sein.
So versichert Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid an der ersten Pressekonferenz der Islamisten: Von afghanischem Boden gehe keine Gefahr für die Welt aus, ausländischen Kämpfern werde es nicht gestattet, von Afghanistan aus gegen andere Länder zu agieren. Denn, so der Taliban: «Wir wollen keine Probleme mit der internationalen Gemeinschaft.»
IS sieht in den Taliban Verräter an der eigenen Sache
Der IS ist ein erklärter Feind der Taliban. «Er wirft ihnen vor, dass sie mit den Amerikanern verhandelt haben und sich verpflichteten, keine Amerikaner anzugreifen. Das sehen sie als Verrat an ihrer eigenen Sache», sagt Nahost-Experte Erich Gysling (75). Zudem würden die Taliban lediglich ein Emirat in Afghanistan errichten wollen, während der IS ein Kalifat über die Grenzen hinaus anstrebe.
Es würde vor allem um Machtansprüche gehen, sagt der österreichisch-afghanische Autor und Journalist Emran Feroz Vocher gegenüber dem «IPG Journal». «Sollte der IS in Afghanistan zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung für den Westen werden, könnten die USA bei seiner Bekämpfung mit den Taliban durchaus zusammenarbeiten.» Es wäre nicht das erste Mal, so Feroz. «Im vergangenen Jahr gab es in der Provinz Kunar Luftangriffe der Amerikaner gegen den IS, während die Taliban am Boden gegen ihn vorgingen.»