«Wir werden uns rächen», waren die Worte von US-Präsident Joe Biden kurz nach dem blutigen IS-Anschlag am Kabuler Flughafen. Bei dem Angriff wurden fast zweihundert Afghanen und dreizehn US-Soldaten getötet. Zeitgleich spielte sich aufgrund des Einmarschs der Taliban, des Abzugs des US-Militärs und der damit verbundenen Evakuierung ein Chaos am Flughafen der afghanischen Hauptstadt ab.
Die «Rache», von der Biden sprach, erfolgte bald darauf. Sowohl in Kabul als auch in der ostafghanischen Provinz Nangarhar fanden Drohnenangriffe statt. Laut der US-Regierung wurden ausschliesslich «IS-Terroristen» durch die Angriffe getötet, doch bald darauf wurde Gegenteiliges deutlich. Die US-Drohne in Kabul tötete zehn Zivilisten, die allesamt zur selben Familie gehörten. Hinzu kam, dass eines der Opfer einst für jene Truppen, die ihn nun umgebracht hatten, als Dolmetscher tätig gewesen ist. Sein Einreisevisum für die Vereinigten Staaten stand schon bereit, doch dann wurde er von jener Realität eingeholt, die den «War on Terror» am Hindukusch seit zwei Jahrzehnten prägt.
Laut dem in London ansässigen Bureau of Investigative Journalism (BIJ) fanden allein zwischen 2015 und 2020 über 13'000 Drohnenangriffe in Afghanistan statt. Dabei sollen zwischen 4000 und 10'000 Afghanen getötet worden sein. Die US-Regierung verkaufte der Öffentlichkeit ihren Drohnenkrieg stets als «präzise» und «sauber», doch die Realität in Afghanistan, dem am meisten von Drohnen bombardierten Land der Welt, zeichnet ein gänzlich anderes Bild. Allein in den letzten fünf Jahren handelte es sich bei vierzig Prozent der Opfer von Luftangriffen – rund 1600 Menschen – um Kinder. Ähnliches war auch in anderen Ländern der Fall, in denen die US-Drohnen Menschen jagten, etwa im benachbarten Pakistan. Dort wurde bekannt, dass lediglich vier Prozent aller bekannten Opfer aus einem «Al-Kaida-nahen Umfeld» stammten.
Die bekannten Daten sprechen seit Jahren für sich. Bereits 2012 machte eine Recherche der «New York Times» deutlich, wie die US-Regierung mit ihren Drohnenopfern umgeht. Abgesehen davon, dass nach zivilen Opfern Untersuchungen vor Ort nicht stattfinden, wurde klar, dass man jede männliche Person im wehrfähigen Alter per se als «feindlichen Kombattant» betrachtet. Dadurch wurde die Tötung von Tausenden von Menschen gerechtfertigt. Sie waren zum Abschuss freigegeben.
Laut Recherchen der britischen Menschenrechtsorganisation Reprieve wurden zwischen 2002 und 2014 für 41 Zielpersonen in Pakistan und dem Jemen 1147 Zivilisten durch Drohnenangriffe getötet. Zu den bekannten Zielen gehörten unter anderem Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri oder Siradschuddin Hakkani, ein bekannter Taliban-Führer. Die beiden Männer sind gegenwärtig weiterhin am Leben. Letzterer wurde vor kurzem zum Innenminister der neuen Taliban-Regierung ernannt. Das FBI setzte auf Hakkani einst ein Kopfgeld von zehn Millionen US-Dollar aus. Nach Drohnenangriffen wurde er mehrfach für tot erklärt – bis er lebendig wieder auftauchte. Ähnlich wie viele andere Extremistenführer wurde er von den Killermaschinen der Amerikaner nie getötet. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass niemand jene offensichtliche Frage stellt: Wer waren all die Menschen, die an seiner Stelle ausgelöscht wurden?
Eine Antwort darauf hat Lisa Ling. Sie war einst als Technikerin für die US-Luftwaffe tätig und wartete Drohnen. Mittlerweile agiert sie als Whistleblowerin und klärt über das Drohnenprogramm ihrer Regierung auf. «Die meisten Opfer waren unschuldige Menschen. Wir konnten nicht zwischen bewaffneten Kämpfern und Zivilisten unterscheiden», so ihr Resümee. Zum selben Schluss kam auch der ehemalige Geheimdienstanalyst Daniel Hale. In seinen Leaks machte er deutlich, dass die meisten Drohnenopfer in Afghanistan Zivilisten waren und dass die US-Basis in Ramstein das Herzstück des illegalen Kriegs seiner Regierung sei. Vor wenigen Wochen wurde er deshalb von einem US-Gericht zu einer fast vierjährigen Haftstrafe verurteilt.
*Emran Feroz ist österreichisch-afghanischer Journalist und Autor. Sein Buch «Der längste Krieg: 20 Jahre War on Terror» ist vor kurzem im Westend Verlag erschienen.