Das meint SonntagsBlick zu 20 Jahren 9/11
Ein schwieriger Balance-Akt

Symbolischer Gedenktag zu 9/11: Wie soll US-Präsident Joe Biden im Lichte des Afghanistan-Fiaskos an das Trauma von vor zwanzig Jahren erinnern?
Publiziert: 05.09.2021 um 11:04 Uhr
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Aktualisiert: 05.09.2021 um 11:45 Uhr
Valentin Rubin, freier Mitarbeiter SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier
Valentin Rubin

Kommenden Samstag, 11. September, jährt sich 9/11 zum 20. Mal: 20 Jahre nationales Trauma in den USA, 20 Jahre Krieg gegen den Terror.

Ein Krieg, der mit dem Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan ein vorläufiges Ende findet. Ein Krieg, auf den niemand mehr Lust hatte und bei dem immer unklarer wurde, warum man ihn eigentlich noch führte.

So gesehen ist der Truppenabzug eine Erlösung. Wenn auch eine schmerzvolle und unwürdige.


Dass US-Präsident Joe Biden das Ende des Afghanistan-Einsatzes ursprünglich genau auf den 11. September legen wollte, ist kein Zufall. Er wollte ein schwieriges Kapitel symbolisch beenden. War der 11. September 2001 tragischer Anfangspunkt einer von Beginn an umstrittenen Mission am Hindukusch, so hätte der 11. September 2021 der Endpunkt dieser Mission sein sollen.


Doch Bidens Plan ist grandios gescheitert. Der längste Krieg in der US-Geschichte war letztlich gar kürzer als geplant. Bereits Ende August wurden die letzten Soldaten aus Afghanistan abgezogen. Anstatt Symbolik stand nur noch eines im Zentrum: Rette sich, wer kann.


Angesichts des Leids, das der Krieg gegen den Terror weltweit hervorgerufen hat, ist das nachvollziehbar. Schätzungen gehen von über einer Million Toten aus, darunter unzählige Zivilisten.


Und seit Osama bin Laden, der Drahtzieher der Anschläge von 9/11, vor zehn Jahren in Pakistan aufgespürt und getötet wurde, hat die Unterstützung für den Afghanistan-Einsatz zunehmend abgenommen.


Das konservative «Wall Street Journal» projizierte nach dem desolaten Abzug aus Afghanistan jüngst einen neuen 9/11-Moment für Biden. Ein Déjà-vu: Die Islamisten jubeln, und Amerika, einst unangefochtene Weltmacht, wird in die Knie gezwungen.


Im Kern mag das stimmen. Biden ist klar angeschlagen. Und doch trifft der direkte Vergleich mit 2001 den Sachverhalt nicht. Denn die USA haben heute ganz andere Probleme als damals: der Konflikt mit China, die Bewältigung der Corona-Pandemie, die gesellschaftliche Spaltung des Landes. Für die Midterm Elections, die wegweisenden Kongresswahlen im Herbst 2022, werden dies die Themen der Stunde sein.


Die Not, die die Menschen in Afghanistan derzeit erleben, darf man nicht vergessen. Wenn Biden nun aber die vielen anderen Themen entschlossen angeht, redet vielleicht bald niemand mehr gross über das chaotische Ende des Militäreinsatzes. An dessen Ursache dagegen, die Anschläge von 9/11, wird sich die US-Bevölkerung stets erinnern.


Für Biden wäre es wichtig, diesen Balanceakt zwischen Erinnern und Vergessen zu meistern. Denn der Schock von 2021 verunsichert und polarisiert die USA. Der Schock von 2001 hingegen vereinte das Land.

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