Afghanistan-Konferenz ist ein Coup für Cassis
Ignazio, König von Genf

Die Afghanistan-Konferenz am Montag kommt dem Aussenminister gerade recht. Er nutzt das Desaster am Hindukusch, um die Schweizer Entwicklungshilfe neu auszurichten.
Publiziert: 13.09.2021 um 07:21 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2021 um 15:31 Uhr
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Die Aussenminister wird in Genf die Eröffnungsrede halten.
Foto: Keystone
Reza Rafi

Das Drama von Afghanistan erweist sich für Ignazio Cassis als günstige Gelegenheit. Still und heimlich ist dem EDA-Vorsteher ein aussenpolitisches Kunststück gelungen: Morgen findet in Genf die Afghanistan-Geberkonferenz statt – nur Wochen nach der grossen Schmach vom 15. August, als die Hauptstadt Kabul den islamistischen Taliban in die Hände fiel und die Illusionen des Westens am Hindukusch zerschellten.

Der Beschluss der Uno, ihre Konferenz in der Westschweiz abzuhalten, gilt vor allem deshalb als Cassis' Coup, weil die Konkurrenz auf dem Feld der Guten Dienste immer härter geworden ist. Auch Wien, Stockholm oder Singapur wetteifern als Vermittler auf dem diplomatischen Parkett der Weltpolitik

Verschnaufpause vom Europa-Dossier

Dem Schweizer Aussenminister ist die Uno-Entscheidung innenpolitisch höchst willkommen: Ihm steht dieses Mal nicht Bundespräsident Guy Parmelin vor der Sonne wie damals im Juni beim Besuch Joe Bidens und Wladimir Putins – Cassis wird als Aussenminister des Gastgeberlandes, als sogenannter Host, die Eröffnungsrede halten. Erwartet werden die Mächtigen der Welt – Regierungsmitglieder aus Washington, Berlin und London.

Das Treffen verschafft dem FDP-Magistraten eine Verschnaufpause vom mühsamen Europa-Dossier, bei dem er sich nach dem Aus für das Rahmenabkommen auch mit innerparteilicher Kritik herumschlagen muss.

Es geht die Unterstützung der Menschen

Den Gipfel in nur wenigen Wochen auf die Beine zu stellen, ist eine Parforceleistung der Uno. Das Treffen wird in hybrider Form stattfinden, sowohl physisch als auch virtuell. Dass die Vereinten Nationen die Schweiz zum Austragungsort erkoren haben, ist auch das Verdienst zweier Frauen: Staatssekretärin Livia Leu und Pascale Baeriswyl, Chefin der Schweizer Uno-Mission in New York (USA). Im Vorfeld der Entscheidung lief die diplomatische Lobbyarbeit auf Hochtouren.

Bei dem Treffen geht es nicht um militärische Fragen, sondern um die Unterstützung der Menschen in Afghanistan. Rechtzeitig hat der Bundesrat dazu die Aufstockung der humanitären Hilfe um 33 Millionen Franken beschlossen. Bloss: Wie stellt der Bund sicher, dass die Mittel in die richtigen Hände gelangen? Zumal das Gebirgsland im Korruptionswahrnehmungs-Index den 165. von 179 Rängen belegt.

Das ist denn auch die Frage, die derzeit im Aussendepartement behandelt wird. Nach dem Sieg der Aufständischen wurden mehrere Schweizer Projekte sistiert. Man arbeite nun mit internationalen Organisationen vor Ort zusammen, heisst es auf Anfrage, die Abwicklung der Hilfe werde über Nachbarländer wie Iran oder Pakistan sichergestellt.

Cassis gilt als Kritiker der Entwicklungshilfe

Eine wichtige Rolle spielen dabei das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sowie diverse Organisationen der Uno. Laut Angaben des Aussendepartements steht die Schweiz bislang nicht in direktem Kontakt mit den neuen Machthabern in Kabul. Eine Frage der staatlichen Anerkennung stellt sich für Cassis gnädigerweise nicht: Die Schweiz anerkennt traditionellerweise nicht Regierungen, sondern Staaten.

Cassis gilt als Kritiker der bisherigen Entwicklungshilfe. Der Tessiner sorgte wiederholt für Kontroversen, etwa im Bereich der Palästina-Hilfe. So wird intern erwartet, dass der EDA-Chef demnächst eine kritische Nachbetrachtung der Afghanistan-Hilfe der letzten 20 Jahre in Auftrag geben wird. Cassis verlange eine nachhaltigere Praxis, heisst es unisono.

FDP steht hinter ihrem Bundesrat

Gelegenheit zur Aufarbeitung wird spätestens der Bericht des Bundes zur Entwicklungszusammenarbeit von 2023 bieten.

In der Aussenpolitischen Kommission dürfte Cassis eine Mehrheit für die 33 Millionen Franken Afghanistan-Hilfe gewiss sein. Die Freisinnigen dort unterstützen ihren Bundesrat, verlangen aber, dass die Gelder an Projekte gebunden sind, bei denen der Schweizer Absender klar ersichtlich ist.

Die Linke verlangt, dass der Bund nicht nur vor Ort hilft, sondern auch Flüchtlinge aufnimmt. SP und Grüne fordern, dass die Schweiz 10'000 Afghanen Asyl gewährt. Das Paket wird voraussichtlich in der Wintersession vors Parlament kommen.

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