Die SVP will Lockerungen zu den Corona-Massnahmen – und zwar subito. Ab dem 22. März, so fordert die Partei, soll alles wieder geöffnet werden. Wie eine Recherche des «Tages-Anzeiger» nun aber aufzeigt, hielt sich ihr Vorzeige-Bundesrat mit Öffnungsschritten im Februar noch massiv zurück. Restaurants wollte Ueli Maurer (70) damals erst einen Monat später öffnen, als seine Partei es jetzt fordert – das erfuhr die Tageszeitung aus «sehr zuverlässigen, bundesratsnahen Quellen».
So plädierte der SVP-Finanzminister in seinem damaligen Öffnungsplan dafür, dass Restaurants erst ab dem 19. April wieder öffnen dürfen. Die relativ späte Restaurantöffnung werde, so heisst es im «Tages-Anzeiger», durch wissenschaftliche Studien gestützt.
Diese gibt es tatsächlich: Gemäss einem aktuellen Papier der Technischen Universität Berlin sei die Ansteckungsgefahr in einem Restaurant mehr als doppelt so hoch wie in einem Supermarkt – selbst wenn die Beiz nur zur Hälfte gefüllt ist.
Maurer war vorsichtiger als Berset
In einzelnen Bereichen wollte Maurer also länger zuwarten als Gesundheitsminister Alain Berset (48, SP). So habe Finanzminister Maurer in seinem eigenen Ausstiegsplan vorgesehen, dass Zoos, Museen und Aussen-Freizeitanlagen erst ab dem 15. März geöffnet werden – Berset hingegen wollte diese bereits ab dem 1. März wieder zugänglich machen. Und so ist es nun auch eingetroffen.
In anderen Punkten forderte Maurer hingegen raschere Öffnungen als sein Kollege, zum Beispiel bei den Restaurant-Terrassen. Diese wollte er bereits am 15. März wieder öffnen, und nicht erst – wie von Berset vorgeschlagen – Anfang April. Im Bundesrat hat man sich nun auf eine Öffnung der Aussenbereiche von Beizen am 22. März geeinigt – sollte es die epidemiologische Lage erlauben.
Wäre es nach Maurer gegangen, hätten auch Fitnesscenter, Sportanlagen und Freizeiteinrichtungen bereits ab Mitte März wieder ihren Betrieb aufnehmen können – und private Veranstaltungen mit zehn Personen wieder erlaubt sein sollen.
Maurer zeigt sich hinter den Kulissen moderat
Mit seinem Image als Massnahmen-Skeptiker stimmt dieser Öffnungsplan, den Maurer am 5. Februar allen Departementen zugestellt hatte, aber nicht wirklich überein. Ein hochrangiger Beamter in einem anderen Departement sagte darum gegenüber dem «Tages-Anzeiger», dass der Maurer-Plan zeige, wie konstruktiv der Finanzminister hinter den Kulissen trotz allem das Krisenmanagement mitgestalte.
Mittlerweile hat sich das Blatt aber gewendet. Nur zweienhalb Wochen später, am 24. Februar, forderte er plötzlich ein viel «aggressiveres Öffnungstempo». Dann nämlich legte der Finanzminister seinen Kolleginnen und Kollegen einen Mitbericht vor, in dem er eine vollständige Wiedereröffnung der Restaurants per 22. März verlangte.
Woher kommt der Sinneswandel?
Dieser Sinneswandel lasse sich nur durch die Verbesserung der epidemiologischen Lage zwischen dem 5. und dem 24. Februar erklären, sagt eine Person aus dem SVP-Umfeld gegenüber der Tageszeitung. Diese ist in den zweieinhalb Wochen tatsächlich von knapp 1500 auf etwa 1000 Neuinfektionen pro Tag gesunken.
Böse Zungen hingegen mutmassen, dass Maurer seine kritischen Mitberichte teilweise «nur für die Galerie» – also nur für die SVP-Spitze verfasse. So soll die Partei zufriedengestellt werden. Denn die Veränderungen bei der Zahl der Neuinfektionen seien bei bestem Willen doch zu klein, um innerhalb so kurzer Zeit einen solchen Sinneswandel hervorzubringen.
Maurer erklärt sich
Maurer dementiert solche Vermutungen: In einer «Klarstellung», die sein Departement am Donnerstag verschickte, bestätigt der SVP-Finanzminister, dass er am 5. Februar ein Diskussionspapier zur Lockerungsstrategie verfasst habe.
Als Reaktion auf die positiven Entwicklungen während der drei Folgewochen, aber auch auf die positiven Erfahrungen aus den Berggebieten mit der Einhaltung der Schutzkonzepte und den Massentests, änderte Maurer seine Meinung jedoch und verlangte am 27. Februar in einem Mitbericht die vollständige Öffnung der Aussenbereiche von Gastronomiebetrieben per 1. März und der Innenräume per 22. März.
Martullo widerspricht Maurer
Pikant: Magdalena Martullo-Blocher (51) widerspricht Maurer nun. Angesprochen auf die Medienberichte sagt die starke Frau der SVP gegenüber Blick TV«g: Das stimmt nicht. Er wollte nie Mitte April, er wollte immer früher öffnen. Das ist jetzt einfach eine linke Kampagne. Unsere beiden Bundesräte sind auf unserer Linie.»
Wie dem auch sei: Am Donnerstag Morgen konnte ihre Partei einen ersten Sieg im Kampf gegen den vorsichtigen Ausstieg aus den Corona-Massnahmen verzeichnen. Mit 97 zu 90 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) nahm der Nationalrat eine Erklärung an, die vom Bundesrat verlangt, dass die Gastro-, Freizeit-, Kultur- und Sportbetriebe bereits am 22. März zu öffnen. Die Forderung ist zwar nicht verbindlich, doch spielt sie den schnellen Öffnungsplänen von Maurer bestimmt in die Hände. (dbn)