Das Treffen findet am Vontobel-Hauptsitz in Zürich statt, oberster Stock. Ein designtes Sitzungszimmer mit Blick auf den See. Das schicke Personal serviert Espresso und Mineralwasser. Zeno Staub tritt ein, begleitet vom Sprecher. Das Setting ist ungewöhnlich, denn das folgende Gespräch hat nicht die Bank, sondern den privaten Nationalratskandidaten Staub zum Thema. Nicht einmal amtierende Abgeordnete umgeben sich mit Pressesprechern.
Vontobel ist die sechstgrösste Schweizer Bank. Staub stand 22 Jahre in ihren Diensten, davon 20 als Teil der Geschäftsleitung und 12 als Chef. Er gilt als erfolgreich. In einem halben Jahr tritt er ab und will sich später in den Verwaltungsrat wählen lassen. Seit Dienstag ist seine Nachfolge bei Vontobel bekannt.
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Die Bank erlaube Staub die private Nutzung der Infrastruktur, sagt Vontobel-Sprecher Peter Dietlmaier. Dietlmaier sei in Personalunion auch sein privater Sprecher und werde von ihm bezahlt, sagt Staub. Doch kein anderer Kandidat schickt einen Sprecher vor, nicht einmal Milliardär und Ems-Unternehmer Christoph Blocher tat dies. Wahlkampf zu betreiben, heisst, unter die Leute zu gehen. Ohne Filter.
Auf seiner Homepage publiziert Staub weder seine Handynummer noch seine E-Mail-Adresse. Unter Schweizer Abgeordneten sind solche Kontaktmöglichkeiten Standard und Ausdruck von Volksnähe. Es scheint, als habe er den Rollenwechsel noch nicht geschafft. Staub entgegnet, er sei über seine Homepage oder die Plattform Linkedin erreichbar und beantworte Nachrichten persönlich.
Ums Verteilen von Wahlflyern auf Plätzen und Bahnhöfen kommt er nicht herum. Das verlangt jede Partei, auch Die Mitte, für die er kandidiert. Seine Auftritte, sogenannte Strassenaktionen, sind wegen seiner Doppelbelastung als CEO und Wahlkämpfer durchgeplant.
Wenig Ahnung von der «Mitte»-Politik
Wie nah Staub an der Partei steht, um ins Parlament gewählt zu werden, ist unklar. Spricht man Staub auf die Positionsbezüge der Partei im Parlament an, hat er wenig Kenntnis davon. So erinnert er sich beispielsweise nicht daran, dass Die Mitte sich letzten Herbst für eine starke Erhöhung der Verbilligung der Krankenkassenprämien starkmachte. Sie tat dies unter dem Titel Kaufkraftstärkung des Mittelstands. Es ging um 1 zusätzliche Bundesmilliarde pro Jahr. Die Mitte stimmte mit den Linken. Dafür steckte sie von der bürgerlichen Seite Häme ein. Später liess sie die Forderung wie eine heisse Kartoffel fallen.
Die Ausgangslage in Zürich
Staub erklärt sein Nichtwissen damit, er sei erst Kandidat: «Zuerst muss ich gewählt werden. Dann gehe ich nach Bern und lerne, wie der Betrieb läuft.» Die NZZ entlarvte Staub in einem Interview kürzlich als jemanden, der gerne staatliche Verbote, Bevormundung und Umverteilung kritisiert und für eine Partei kandidiert, «die genau solche Mittel» anwende.
Sein Wahlvehikel, das seine Frau präsidierte
Ungewöhnlich ist auch, dass Staub nicht auf der Hauptliste seiner Partei zur Wahl antritt, sondern mit einer eigenen Unterwahlliste. Dort belegt er den Platz eins. Sie heisst «Die Mitte – Wirtschaft und Gesellschaft AWG». Die NZZ nannte sie «eine etwas obskure und wohl auch chancenlose Untergruppe» der Partei. Diese Gruppierung ist ausserhalb der Partei fast unbekannt und besteht aus fünf Protagonisten. Staub entgegnet, dass es solche Wirtschaftsgruppierungen der früheren CVP in mehreren Kantonen gebe, darunter in Zug. In Zürich hat zuletzt seine Frau diese Gruppe geführt. Sie heisst Vera Kupper Staub und ist schweizweit bekannt als Präsidentin der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge.
Im Zuge seiner Kandidatur wurde ihr Mann Präsident der Gruppe, und sie bleibt im Vorstand. Das Wahlvehikel AWG erscheint wie ein Familienprojekt. Das Ehepaar Kupper Staub ist der Hauptsponsor seines Wahlkampfs. Das Budget betrage 150’000 Franken, sagt Staub. Neben ihnen figuriere nur der Genfer Bankier Eric Syz als Einzelsponsor, der über 15’000 Franken beisteuerte.
In Konkurrenz zur Hauptwahlliste?
Ein bürgerlicher Nationalrat, der nicht namentlich zitiert sein will, erklärt, warum Quereinsteiger auf einer Unterliste kandidieren. Sie würden es tun, sagt er, weil sie auf der Hauptwahlliste ihrer Partei einen zu schlechten Listenplatz bekommen würden. Die vordersten Plätze gehören den Wiederkandidierenden. Verschärfend kommt hinzu, dass die Mitte-Partei im Kanton Zürich kein Standing hat. Sie wird von einem einzigen Nationalrat vertreten, dem Bildungspolitiker Philipp Kutter.
Ob sie am 22. Oktober einen zweiten Sitz holt, ist offen. Ab den Plätzen drei und vier sind die Wahlchancen eher bei null. Staub als Quereinsteiger ohne Parteimeriten würde hinten platziert sein. «Da hätte er keine Chance, gewählt zu werden», sagt der erwähnte bürgerliche Parlamentarier: So erkläre sich das Kalkül mit der Unterwahlliste.
Staub selber sagt, er brauche rund 10’000 Wählerinnen und Wähler, die seine Liste einwerfen. Doch dies dürfte nicht genügen. Parteikollege Kutter erhielt bei der letzten Wahl rund 29’000 Stimmen und hatte das zweitschlechteste Ergebnis des Kantons. Darauf angesprochen, ergänzt Staub, dass er «weitere rund 20’000 Stimmen als Panachierstimmen» benötige, um eine Wahl zu schaffen. Panaschieren heisst, dass Wähler Staubs Namen auf parteifremden Wahlzetteln notieren. Panaschierkönigin der letzten Wahlen war die SP-Vizepräsidentin Jacqueline Badran.
Ein Mann, der weiss, was er will
An Sendungsbewusstsein mangelt es Staub nicht. Auf sein Motiv zur Kandidatur angesprochen, erklärt er, dass er der «Schweiz und ihren Menschen etwas zurückgeben» wolle. Der Satz provoziert Reaktionen, denn er impliziert, dass Staub mit seiner Kandidatur der Schweiz ein Geschenk macht. «Das Argument ist etwas selbstherrlich. Er ist sich seiner Sache etwas zu sicher», sagt ein Schweizer Bankier und früherer Kadermann. Er glaubt, dass Staub in Bern anecken wird. Er sei einer, der «genau weiss, wie er es gerne hätte».
Vontobel sei unter seiner Ägide zur streng hierarchisch geführten Bank vom angelsächsischen Typus geworden, die von Quartalszielen und Boni getrieben sei. Nach Feierabend hätten «die Achtzylinderautos in der Tiefgarage nicht selten vibriert». Er sei erstaunt darüber gewesen, wie oft man die Werte des berühmten Patrons der alten Schule, Hans Vontobel, bemüht, aber selber anders gehandelt habe. Hans Vontobel war bekannt für sein gemeinnütziges Engagement in der Fürsorge und Talentförderung.
Mehr zu den Wahlen
Staub weist diese Beurteilung als faktenfremd zurück. «Wir führen mit flachen Hierarchien und nicht nach Quartalen, sondern langfristig. Entsprechend gibt es auch keine publizierten Quartalszahlen.» Boni in Form von Aktien erhalten alle Angestellten. Die Ausschüttungen sind gesperrt auf drei Jahre und abhängig von Risiko und Ertrag. Die Grundstimmung sei sehr positiv, sagt Staub: «Bei der letzten Mitarbeitendenbefragung waren mehr als 90 Prozent stolz darauf, für Vontobel zu arbeiten».
Sein Wahlprogramm würde zur SVP passen
Was auffällt, ist, dass Staub in allen Interviews ähnliche Argumente vorbringt, als ob er sie einstudiert hätte – so auch anlässlich des «Handelszeitung»-Gesprächs vergangenen Montag.
Staub wolle Politik betreiben, die die «Wirtschaft bejaht», und auch so, dass sie «Teil der Gesellschaft» sei. Das bestreitet – bis auf die Juso – in der Schweiz keine Partei, der Satz klingt wie eine Plattitüde. Darauf angesprochen, schweigt Staub und schaut irritiert.
Ein Nationalratskandidat, der ihm auf einem Podium begegnete, sagte, Staub sei «gut vorbereitet gewesen». Seine Voten hätten gut geklungen, aber er sei «noch nicht so sehr in der Materie gewesen». Viele seiner Statements hätten zur SVP gepasst.
Spricht man mit Staub über Inflation und Kaufkraftverlust, erwähnt er als Lösung mehr Wettbewerb. Fragt man ihn, welche Haltung er zur aktuellen Revision des Wettbewerbsrechts hat, hat er keine Antwort. Derzeit beraten wird eine massive Schwächung des Kartellrechts.
Dass seine Partei als Reaktion auf die Inflation neben mehr Prämienverbilligung auch eine einmalige Erhöhung der AHV-Rente verlangt hat, ist ihm ebenfalls entgangen. Er gibt sich froh darüber, dass der Ständerat es dank den Mitte-Stimmen abgelehnt hat. Das einzige Argument, das er ins Feld führt, ist, dass er nicht in einem Land mit Altersarmut leben wolle.
Er kontrollierte den Teuerungsausgleich bei Vontobel
Fragt man ihn, ob er seinen Bankmitarbeitenden die Inflation mit einer Lohnerhöhung voll ausgeglichen habe, antwortet er, die Bank sei weit produktiver als andere Branchen und könne «Entschädigungen anbieten», die über den Inflationsraten lägen. Bohrt man weiter, so sagt er, dass es bei Vontobel keinen generellen Lohnausgleich gebe, sondern nur individuelle Lohnerhöhungen, über die die Bereichsleiter entscheiden. Das Personal im Ausland mit hoher Inflation habe mehr profitiert als in der Schweiz. Dabei sei vorgegeben worden, dass tiefere Löhne besonders berücksichtigt würden. Staub sagt, er und die Personalabteilung hätten die Anpassungen eigenhändig kontrolliert.
Eines der heissesten Politthemen ist das Verhältnis der Schweiz zur EU. Und gerade die Wirtschaft mahnt den Bundesrat, endlich vorwärtszumachen. Staub dagegen äussert sich defensiv. Zum einen sagt er, dass die Schweiz mit seinen Nachbarn kooperieren müsse. Zum anderen sagt er, dass sie die Souveränität verteidigen müsse und sich der EU nicht annähern dürfe. Im Zweifelsfall solle sie lieber auf der Souveränität über die Institutionen beharren. Damit argumentiert er nahe der SVP-Position. Staub glaubt, dass die EU sich zur Kooperation bewegen lasse, indem die Schweiz beispielsweise grosszügigere Entwicklungsbeiträge offeriere sowie im Stromhandel und bei der Sicherheit stärker kooperiere.
Wenn man ihn auf pikante Details der Verhandlungen anspricht, etwa auf den Streit um die Spesenregelung von entsandten EU-Mitarbeitenden auf Schweizer Baustellen, hat er keine Antwort. Zur Einwanderung meint er, man solle die hiesigen Arbeitgeber mit einer Gebühr belasten, wenn sie Ausländerinnen und Ausländer einstellen. Dass er damit die Schweizer Wirtschaft stark belaste, nimmt er in Kauf. Einen Protest von Economiesuisse oder dem Gewerbeverband auf diesen Vorschlag, der in der «Weltwoche» stand, habe er nicht erhalten.
Ein Plan wie einst von Banker Thomas Matter
Sollte Staub gewählt werden, wäre er neben SVP-Nationalrat Thomas Matter der zweite Topbanker im Nationalrat. Matter sagt, er kenne Zeno Staub wenig und seine politischen Vorstellungen nicht. Matter startete ebenfalls als Quereinsteiger, wurde anlässlich seiner ersten Kandidatur 2011 nicht auf Anhieb gewählt. Er ist erst ein paar Jahre später nachgerutscht als erster Ersatzmann auf der SVP-Liste, als Christoph Blocher ging. Er sei im Rat nicht als Banker gesehen worden, sagt Matter, sondern als Unternehmer. «Ich wurde selten angefeindet.»
Mehr zu den Wahlen
Sollte Staub es nach Bern schaffen, dürfte er einen harten Start haben. Dort wäre er einer unter zweihundert. Die Mitte-Partei selbst ist zerrissen in einem sozialen linken und bürgerlichen rechten Flügel, der parteiintern oft in der Minderheit ist.
Sein kleiner Arbeitsplatz läge in den engen Obergeschossen des Parlaments und ohne Aussicht – kein Vergleich zum Setting bei Vontobel. Staub schickt sich in eine echte Herausforderung.