Der brutale Vierfachmord von Rupperswil AG von 2015 war das prominenteste Beispiel. Geschieht ein Verbrechen, setzen Polizei und Staatsanwaltschaft vermehrt auf die Auswertung von Handydaten. Kein Wunder, die Geräte können wichtige Hinweise geben, wo sich ein Verdächtiger bewegt und mit wem er kommuniziert hat.
Der Überwachungs-Dienst (ÜPF), der dem Departement von Justizminister Beat Jans (60) angehört, beschafft diese Informationen etwa bei Swisscom und Sunrise und gibt sie an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Bis vergangenes Jahr stellte sie dafür jede einzelne Bestellung in Rechnung. Nach der Gewalttat von Rupperswil erhielt die Mordkommission dank eines sogenannten Antennensuchlaufs zwar Handynummern von rund 30'000 Personen, die sich zur Tatzeit in der Nähe aufhielten – gleichzeitig aber auch eine saftige Rechnung von 816’000 Franken für diese Informationen.
Beim Dienst können etwa Daten zum Abhören von Telefongesprächen oder Mitlesen von E-Mails eingefordert werden. Genauso kann rückwirkend abgefragt werden, mit wem eine verdächtigte Person im letzten halben Jahr telefoniert hat, inklusive wann, wie lange und von wo aus das Gespräch geführt wurde.
Seit Anfang Jahr zahlen die Kantone aber nur noch eine Pauschale an den ÜPF, je nach Bevölkerungsgrösse und egal, wie viel sie anfordern. Zu aufwendig wars dem Bund, für jede Anfrage eine Rechnung zu erstellen.
Aufgrund der neuen Finanzierung wurden vergangenes Jahr Befürchtungen laut, dass es zu mehr Schnüffelaktionen komme. So warnte etwa die Digitale Gesellschaft Schweiz davor, dass die «Flatrate für Kantone» zu noch mehr Überwachung führe.
Seit Anfang Jahr grössere Nachfrage
Seit einem halben Jahr gilt diese neue Verordnung. Und tatsächlich: «Die Anzahl der Anfragen ist seit 1. Januar 2024 gestiegen», bestätigt ein ÜPF-Mitarbeiter auf Anfrage von Blick. Weiter will sich die Dienststelle nicht in die Karten blicken lassen. Genaue Zahlen will der Dienst erst kommendes Jahr veröffentlichen, wenn die Jahresstatistik vorliegt.
Blick hat daher direkt bei den Kantonen nachgefragt. Es zeigt sich: Auch für sie ist die Angelegenheit ein heisses Eisen. Keiner möchte offenlegen, wie stark er seine Bevölkerung überwacht, seit die neue Finanzierung gilt. Aargau und Zug behaupteten sogar, dass der ÜPF in seiner Statistik die einzelnen Kantone nicht aufführe, weshalb man keine Auskunft erteilen könne. Die Aussage ist nachweislich falsch. Die ÜPF-Statistik weist genau das jährlich aus, inklusive welcher Kanton am meisten schnüffelt.
Zürich erteilt am meisten Überwachungsaufträge
So waren es vergangenes Jahr bevölkerungsreiche Kantone wie Zürich, Waadt und Genf, die am meisten Überwachungsaufträge bestellten. Die Statistik zeigt, dass 2023 die Strafverfolgungsbehörden der Kantone und der Bund insgesamt rund 9500 Überwachungsmassnahmen angefragt haben. Jede Fünfte davon kam vom Kanton Zürich.
2023 ordnete allein der Kanton Zürich 871 Antennensuchläufe wie im Fall von Rupperswil an, um an Handynummern zu gelangen. 2019 waren es noch 175. Dieser massive Anstieg gilt auch deshalb als problematisch, weil den Behörden mit jeder Abfrage nicht nur Daten über Verdächtige ins Netz gehen, sondern Informationen vieler Unbeteiligter, die sich zufällig in der Nähe eines Tatorts aufhielten.
Über die möglichen Gründe für den aktuellen Anstieg der Bespitzelungsmassnahmen will sich keiner der angefragten Kantone äussern. Bern sagt, man kommuniziere aktuelle Zahlen während des laufenden Jahres grundsätzlich nicht. Auch die Zürcher Staatsanwaltschaft will keine Angaben machen und sieht sich gar nicht erst für zuständig.
Im Kanton Aargau wollte die Staatsanwaltschaft im Rupperswil-Fall die 800'000-Franken-Rechnung nicht bezahlen und zog vor Gericht. Erfolgreich: Das Bundesverwaltungsgericht senkte 2017 den Betrag auf rund 200’000 Franken. Es war aber nicht die Handy-Auswertung, dank der man den Vierfach-Mörder schliesslich überführen konnte. Er konnte identifiziert werden, weil er sich vor der Tat via Google über seine Opfer informiert hatte.