Der Bund soll dafür sorgen, dass der Kanton Uri weniger unter dem Stau am Gotthard leidet. Der Landrat hat sich am Mittwoch einstimmig für eine Standesinitiative ausgesprochen, die unter anderem ein elektronisches Buchungssystem für Gotthard-Durchfahrten fordert. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen dazu.
Wie soll das sogenannte Slot-System funktionieren?
Ähnlich wie eine Tischreservation beim Lieblingsitaliener. Wer den Tunnel passieren will, muss vorgängig ein Zeitfenster buchen. Wer innerhalb des gebuchten Slots am Gotthard ankommt, kann den Tunnel passieren. Wer zu spät kommt, oder keine Reservation hat, muss warten. Konkret schwebt dem Ideengeber, dem Urner Landrat Ludwig Loretz (59, FDP) vor, dass eine der beiden Spuren auf der A2 nur für Fahrer mit Reservation offensteht.
Tickets für den Gotthard – ist das überhaupt machbar?
«Man kann über ein solches Slot-System am Gotthard nachdenken», sagt Kay Axhausen (64), Professor für Verkehrsplanung und Transportsysteme an der ETH Zürich. Klar sei: Der Kanton Uri wolle das Stau-Phänomen managen. Und man habe das mit den Lastwagen am Gotthard bereits vorgemacht. Das Slot-System für Personenwagen sei die logische Ausweitung, findet Axhausen.
«Ich kann den Kanton Uri gut verstehen und es ist löblich, dass er sich in der Lösungsfindung für die Stau-Problematik am Gotthard einbringt. Das Slot-System wäre bestimmt tauglich, dürfte aber in der Praxis nicht einfach umzusetzen sein», meint hingegen Alexander Erath, Professor für Verkehr und Mobilität an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).
Noch skeptischer tönt es beim Bund: «Wir sehen in der Praxis grosse Probleme für ein solches Slot-System. Man kann nicht garantieren, dass die Autofahrer diese Slots am Ende auch einhalten können», sagt Thomas Rohrbach, stellvertretender Leiter Kommunikation beim Bundesamt für Strassen (Astra). Ein weiteres Problem: Wie soll dieser Verkehr triagiert werden? Es sei kaum möglich, dass auf der freien Spur nur Fahrzeuge seien, die einen Slot gebucht hätten, sagt Rohrbach. Sein Fazit: «Dieses System ist für uns heute praktisch nicht umsetzbar.»
Wie sieht es rechtlich aus – darf man das überhaupt?
Ja, sofern das Slot-System für Automobilisten nichts kostet. Denn: In der Schweiz sind Strassen grundsätzlich gebührenfrei – abgesehen von der Autobahnvignette. Kommt hinzu: Das System müsste Schweizer und europäische Automobilisten gleichbehandeln, damit die Bilateralen nicht verletzt werden.
Wo liegen die Knackpunkte?
Allen Fahrzeugen wird ein festes Zeitfenster zugeteilt. «Hier stellt sich die Frage: Was passiert mit den Menschen, die nicht mehr zu ihrer präferierten Zeit durch den Gotthard kommen? Weichen sie über den San-Bernardino-Pass aus, fahren sie früher, später oder gar nicht mehr?», so Kay Axhausen. Man werde die Zufahrt also nicht gänzlich unter Kontrolle halten können. «Jemand, der aus dem Ausland anreist und durch den Gotthardtunnel will, kann beispielsweise auf einer achtstündigen Fahrt auch eine grosse Verspätung einfahren.»
Alexander Erath sieht noch ein anderes Problem: «Was passiert mit Automobilistinnen und -mobilisten, die keinen Slot im Voraus gebucht haben, etwa weil sie die Fahrt kurzfristig geplant haben?» Zum Beispiel ein Service-Mechaniker, der kurzfristig beruflich ins Tessin fahren muss.
Liegen dafür bereits griffige Lösungen bereit?
Bisher nicht, solche werden zu diskutieren sein. «Man könnte Fahrer ohne Slot auf das nächste freie Zeitfenster warten lassen. Je nach Tag kann diese Wartezeit kurz oder lang sein», schlägt Kay Axhausen vor. Bloss: Das habe für den Kanton das Problem, dass er entsprechende Parkplätze für lange Wartezeiten bauen müsste, was er wohl nicht wolle. Man müsste die Fahrer ohne Reservation also wohl weit vor dem Gotthard abfangen, sie reservieren lassen oder umleiten.
Gibt es keine Alternativen?
Derzeit nicht. Erath sagt allerdings zur Situation am Gotthard: «Sinnvoller scheint mir hier ein Mobility Pricing zu sein, denn damit könnten solche Probleme mit Verkehrsüberlastungen effizienter angegangen werden.» Das ist zwar derzeit gegen die Verfassung. Aber der Bundesrat wünscht sich ein Mobility Pricing und hat Pilotprojekte samt Gesetzesanpassung in der Pipeline, allerdings nicht am Gotthard. Ob und wann Mobility Pricing schliesslich am Gotthard umsetzbar sei, sei daher eine politische Frage, so Erath. «Es würde aber besser ins Gesamtkonzept passen als das Slot-System, vor allem da so auch kurzfristig geplante Fahrten zu jeder Zeit über den Gotthard möglich bleiben.»
Ludwig Loretz selbst bemängelt, dass vor allem Schwarzmalerei betrieben werde, man nur das Negative sehe und nicht die Chancen eines solchen Systems. Man müsse das nun schrittweise aufbauen. «Es ist denkbar, dass das Slot-System zu einem späteren Zeitpunkt kostenpflichtig wird. Beispielsweise, weil die Einnahmen aus den Treibstoffsteuern zurückgehen.» Eine andere Möglichkeit sieht er darin, dass die Kosten in der Nacht etwa billiger seien als durch den Tag. Das bräuchte zwar eine Verfassungsänderung und eine Änderung des Landverkehrsabkommen mit der EU, gibt Loretz zu.