33.50 Franken pro Stunde – Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge an die Sozialversicherungen sowie Ferienentschädigung inbegriffen. So viel zahlt die Invalidenversicherung einer Person mit Behinderung in der Regel, damit sie eine Assistenz einstellen kann. Diese hilft ihr beispielsweise beim Ankleiden, beim Essen oder bei Freizeitaktivitäten. Den Betroffenen soll die Assistenzperson ein möglichst selbstbestimmtes Leben im eigenen Zuhause ermöglichen.
Doch die Zugangshürden sind hoch: Anspruch hat nur, wer als hilflos gilt. Familienmitglieder in direkter Linie dürfen nicht angestellt werden. Und die Beiträge sind begrenzt. Im Jahr 2020 erhielten nur gerade rund 3400 Personen einen Assistenzbeitrag – der Medianwert lag bei monatlich 1300 Franken.
Der Assistenzbeitrag hat für die Betroffenen zwar eine gewisse Verbesserung gebracht, aus Sicht von Islam Alijaj (35) aber noch viel zu wenig. «Die Assistenzbeiträge decken hauptsächlich die Bereiche Wohnen und Freizeit ab und sind viel zu tief angesetzt. Aufgrund hoher Hürden schliessen sie viele Menschen mit Behinderungen aus», sagt er. «Diese Limiten wollen wir aufbrechen.»
Assistenzbegriff ausweiten
Er weiss selbst, wovon er spricht. Alijaj lebt seit Geburt mit Cerebralparese, einer Hirnschädigung, die dazu führt, dass Betroffene nur wenig Kontrolle über ihre Muskeln und ihre Bewegungen haben. Auch das Sprechen fällt ihm schwerer. Er erhält zwar eine Assistenz für 90 Stunden im Monat, bräuchte aber 150 bis 180 Stunden, «damit ich meine Behinderung ausgleichen könnte».
Es geht ihm nicht nur um Hilfe zu Hause, sondern auch darum, dass sich Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen des Lebens vollumfänglich einbringen können – in Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Sport oder Politik. «Dafür braucht es eine Ausweitung des Assistenzbegriffs», sagt er.
Weshalb, erklärt er konkret am eigenen Beispiel. Alijaj ist in der SP politisch aktiv und kandidierte 2019 für den Nationalrat. «An Anlässen kann ich nicht mit dem Glas in der Hand Leute ansprechen und meine Idee vorstellen. Auch bei Standaktionen auf der Strasse ist die Kontaktaufnahme mit den Leuten schwierig», sagt er.
Dafür sei er auf eine «Verbalassistenz» angewiesen – also jemand, der die Leute anspricht, einen ersten Kontakt herstellt und allenfalls seine Ideen erklärt. «Eine politische Karriere ist schon ohne Behinderung schwierig und aufwendig», meint der Zürcher. «Mit einer Behinderung ist die Hürde noch höher – das könnte eine Assistenz zumindest teilweise egalisieren.»
Neue Volksinitiative geplant
Der zweifache Vater arbeitet deshalb mit einem Komitee an einer Volksinitiative, welche die Assistenzleistungen breiter fassen will – geplant als «Inklusions-Initiative». «Der Mensch mit Behinderungen und der Ausgleich seiner Behinderung stehen im Zentrum», erklärt er. Die Unterstützungsleistungen könnten personeller, aber auch technischer Natur sein.
Er erzählt von einer blinden Kollegin, welche einen hochmodernen Blindenstock anschaffen wollte, doch die IV wollte diesen nicht finanzieren. «Einen Blindenhund für mehrere zehntausend Franken hätte die IV aber übernommen. Das kann ja nicht die Idee sein.» Mehr Inklusion könne also durchaus auch günstiger zu haben sein, sagt er.
2022 startet Unterschriftenammlung
Das Komitee um Alijaj sammelt derzeit Geld für die Kampagnen-Assistenz und sucht Verbündete. Am Mittwoch ist dazu auch eine Aktion auf dem Bundesplatz geplant.
Bis im nächsten Jahr soll ein konkreter Initiativtext stehen. «Im Herbst 2022 möchten wir mit der Unterschriftensammlung starten», sagt er. Bereits mit ihm Boot ist die Stiftung für direkte Demokratie, welche die Unterschriftensammlung digital unterstützen will. Für Alijaj ist klar: «Wir wollen wie alle anderen auch voll und ganz am Leben teilhaben können.»