Wenn Franco D'Elia (52) am Computer arbeitet, ist pausenlos eine mechanische Stimme zu hören. Ungeübte Personen verstehen kein Wort. Doch D'Elias Ohr ist geschult. Sein Screenreader, wie die Stimme eigentlich heisst, liest vor, was auf dem Computer zu sehen ist.
D'Elia ist so stark sehbehindert, dass er am Computer kaum etwas erkennen kann. «Bis im Jahr 2017 konnte ich den Alltag mit Kontaktlinsen gut bewältigen», erklärt der Informatiker, der früher bei der Roche angestellt war.
«Heute sehe ich nur noch auf einem Auge. Und auf diesem sehe ich alles wie durch eine Milchglasscheibe. Farben sind quasi inexistent und ich habe ein extrem eingeschränktes Gesichtsfeld», erklärt er. Der 52-Jährige hat seine Einschränkung zum Beruf gemacht: Er arbeitet heute als Berater für Barrierefreiheit im Internet bei der Stiftung «Zugang für alle».
Barrierefrei heisst nicht nur rollstuhlgängig
«Ich analysiere in meinem Job digitale Inhalte wie Webseiten oder Apps im Hinblick auf ihre Barrierefreiheit», erklärt er. «Barrierefrei» sind nämlich nicht nur rollstuhlgängige Gebäude. Auch online gibt es Hindernisse zu tilgen, die Personen mit Einschränkungen daran hindern, selbständig unterwegs zu sein.
Um zu zeigen, mit welchen Barrieren D'Elia konfrontiert ist, muss er nicht lange suchen. Bereits auf der ersten Webseite, die er aufruft, meldet sich sein Screenreader mit «Link klick, link klick, link klick». Der Reader wirbt damit nicht für einen Link, den er besonders mag, sondern liest verschiedene klickbare Elemente vor.
Mal ist es ein klickbares Bild, mal ein Button oder ein visuell eindeutiges Symbol. Dumm nur, dass in diesem Fall bei keinem der Links hinterlegt ist, was er bedeutet. «Ich habe keine Ahnung, wohin mich die Links führen», hält D'Elia fest und erklärt: «in dringenden Fällen muss ich meine Frau holen, damit sie sich die Seite anschaut».
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Zugang für alle
In seinem Beruf berät D'Elia Firmen im Hinblick auf die Zugänglichkeit ihrer Webseiten. Dabei richtet er sich nach den WCAG (Web Content Accessibility Guidlines), welche verschiedene Regeln festhalten, die eine barrierefreie Webseite zu erfüllen hat. Die Regeln bauen auf vier Grundprinzipien auf:
Wahrnehmbar Können Personen mit einer Einschränkung die Inhalte überhaupt wahrnehmen? Dazu gehört zum Beispiel die Beschriftung von Buttons für Sehbehinderte oder die Untertitel bei Videos für Gehörlose.
Bedienbar Ist es für alle möglich, die Seite zu bedienen? Sehbehinderte wie D'Elia benutzen beispielsweise selten eine Maus, da diese auf dem Bildschirm schnell verloren geht. Webseiten müssen also per Tastatur bedienbar sein.
Verständlich Ist der Inhalt verständlich? Komplexe Texte oder Seitenstrukturen sind für Personen mit geistigen Behinderungen schwer zu verstehen. Auch für gehörlos geborene Menschen ist die Laut- und Schriftsprache nicht die Muttersprache.
Robust Ist der Inhalt mit verschiedenen Hilfsprogrammen und -geräten kompatibel? Ein solches Programm ist zum Beispiel D'Elias Screenreader.
Barrierefreiheit im Alltag
D'Elias Erfahrung zeigt: In Punkto Barrierefreiheit sind manche Seiten sehr gut aufgestellt, andere hingegen gar nicht. «Viele wissen auch einfach nichts davon», erklärt er. Deshalb gehören auch Sensibilisierungs-Trainings zu seinen Arbeitsaufgaben.
Können auch Privatpersonen etwas tun, um das Internet barrierefreier zu gestalten? «Online gibt es nicht viel», erklärt D'Elia, «bei einem Facebook-Post könnte man ein wenig darauf achten, aussagekräftige Bildbeschreibungen zu schreiben. Und bei Programmen wie Word ist es hilfreich, Formatvorlagen zu verwenden. Diese sind für meinen Screenreader einfacher zu verarbeiten».
Im analogen Alltag hingegen hat er einen Wunsch an seine Mitmenschen: «Wenn eine blinde Person vorbeikommt, werden die Leute oft mucksmäuschenstill. Dann ist es extrem schwierig zu erkennen, wo sie sich befinden. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen ihr Benehmen nicht ändern, nur weil eine Person mit Einschränkung ihren Weg kreuzt.»