«Unsicher und unmotiviert» – Sprachwissenschaftler Daniel Elmiger spricht Klartext
Hassfach Französisch – Lehrer sind schuld!

Das Frühfranzösisch steht in der Deutschschweiz vielerorts auf der Kippe. Sprachwissenschaftler Daniel Elmiger kritisiert: Wenn Kinder eine Sprache lernen sollen, die ihre Lehrpersonen selbst kaum beherrschen – wie soll da Begeisterung aufkommen?
Publiziert: 12:05 Uhr
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Aktualisiert: 12:18 Uhr
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Französisch ist bei vielen Schülerinnen und Schülern unbeliebt.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Frühfranzösisch in der Schweiz ist umstritten, Sprachwissenschaftler kritisiert Lehrpersonen
  • Mangelnde Sprachkompetenz der Lehrpersonen beeinträchtigt den Französischunterricht
  • Nur 65,2 Prozent der Schüler erreichen Grundkompetenzen im Französisch-Leseverstehen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Nastasja HofmannRedaktorin Politik

Viele Deutschschweizer Kantone stellen das frühe Sprachenlernen in der Primarschule infrage. Ein besonderer Dorn im Auge ist dabei Französisch, das meist nach Englisch als zweite Fremdsprache in den Lehrplan aufgenommen wird. Lehrpersonen und Politiker sprechen von überforderten Schülerinnen und Schülern.

Sprachwissenschaftler Daniel Elmiger sieht das Kernproblem in seinem neuen Buch («Das Kreuz mit dem Schweizer Fremdsprachenunterricht. Wohin mit den Landessprachen?») jedoch anderswo: bei den Primarschullehrpersonen!

Elmiger lehrt unter anderem an der Universität Genf und ist in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften tätig. In seinem Buch übt er scharfe Kritik – am aktuellen System des Fremdsprachenunterrichts, an den Lehrpersonen und auch an der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK).

Wenn Französisch zum Frustfach wird

Elmiger berichtet aus seinem Berufsalltag: «Eher selten spreche ich mit motivierten und selbstbewussten Lehrpersonen, die ihre Arbeit mit Freude und Erfolg leisten.» Stattdessen wirke der Unterricht oft lustlos, ohne «inneren Antrieb». So werde Französisch schnell zum «Hassfach» – bei Lehrpersonen ebenso wie bei der Schülerschaft.

Und das zeigt sich in den Leistungen. Eine EDK-Erhebung aus den Jahren 2016 und 2017 untersuchte erstmals schweizweit, ob die Grundkompetenzen im Spracherwerb am Ende der Primarstufe erreicht werden. Im Leseverstehen Französisch als erste Fremdsprache erreichten dies gemäss Statistik nur 65,2 Prozent der Schülerinnen und Schüler. In mehrsprachigen Kantonen liegen die Werte in der Regel etwas höher. Zum Vergleich: Im Leseverstehen Englisch als erste Fremdsprache sind es 86 Prozent. Wie ist dieser Unterschied zu erklären?

Französisch habe insbesondere in der Ostschweiz einen schweren Stand, schreibt Elmiger. Englisch komme zuerst – Französisch sei hingegen zweite Wahl. Dadurch verlieren die Landessprachen an Bedeutung: «Ausserhalb der Sprachgebiete spielen die Landessprachen zunehmend eine untergeordnete Rolle.» Eine Folge davon sei etwa, dass die Kommunikation zwischen den Sprachregionen zunehmend auf Englisch stattfinde.

Französischlehrer ohne Französisch

Doch auch die Lehrpersonen spielen eine zentrale Rolle. «Schwierig wird es vornehmlich dann, wenn man merkt, dass die Menschen, die eigentlich eine Fremdsprache unterrichten sollten, diese selbst kaum gut genug sprechen», urteilt der Sprachwissenschaftler. Gerade im Primarschulbereich komme das immer wieder vor – dabei wäre gerade dort ein ungezwungener, mündlicher Zugang besonders wichtig.

Elmigers Urteil über den Fremdsprachenunterricht in der Schweiz fällt deutlich aus: «Der Französischunterricht in der Deutschschweiz sollte neu überdacht werden.» Auch der Deutschunterricht in der Romandie schneidet in seiner Analyse schlecht ab – die Ergebnisse seien miserabel.

Eine Mitschuld sieht Elmiger bei den Kantonen und der EDK. Diese seien weder in der Lage noch willens, die Situation grundlegend zu verändern. Von der EDK wünscht er sich vor allem eine bessere Koordination. Auch beim Sprachnachweis für Lehrpersonen brauche es klarere Regeln: «Die Leitlinien der EDK werden auf verschiedene Weise umgangen; etwa, indem die Maturanote als Nachweis für ein Kompetenzniveau zweckentfremdet wird.»

Und was sagt die EDK dazu? Auf Anfrage sagt Sprecher Stefan Kunfermann: «Die aktuellen Diskussionen um den Fremdsprachenunterricht werden auch im Rahmen der EDK aufmerksam verfolgt.» Für die Umsetzung des Sprachunterrichts seien jedoch die Kantone zuständig. Diese Bemühungen unterstütze die EDK mit Empfehlungen, Publikationen, Fachtagungen und Arbeiten im Netzwerk.

Trotz allem: Dem Frühfranzösisch den Stecker zu ziehen, ist für Daniel Elmiger der falsche Weg. «Bevor der Französischunterricht auf der Primarstufe einfach abgeschafft wird, sollte man besser verstehen, wieso er überhaupt so unbeliebt und umstritten ist», sagt er zu Blick. Elmiger befürchtet, dass das Vernachlässigen der Landessprache zu einer zunehmenden Entfremdung der Sprachregionen führt. Das könnte zum Problem werden – denn: «Die Schweiz definiert sich über ihre Mehrsprachigkeit.»

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