Darum gehts
- Die Lehre in der Schweiz bleibt stark, während sie in Deutschland und Österreich an Attraktivität verliert
- Schweiz hat Reformen früher umgesetzt und die Durchlässigkeit der Lehre gestärkt
- Bern muss handeln, damit der Berufslehre in der Schweiz kein Niedergang droht
Ein System, drei Länder – und eines zieht davon! Deutschland, Österreich und die Schweiz gelten weltweit als Vorbilder für die duale Berufsausbildung. Das Erfolgsrezept: Jugendliche lernen ihren Beruf im Betrieb und gehen parallel dazu zur Schule.
Doch in Deutschland und Österreich verliert die Lehre an Bedeutung, während sie in der Schweiz nach wie vor stark verankert ist. Dies zeigt nun auch eine Auswertung, die öffentliche Institutionen in den drei Ländern – darunter das Schweizerische Observatorium für die Berufsbildung – vorgelegt haben.
Die Fakten: In Österreich beginnt nur etwa jeder dritte Jugendliche (35 %) im Lauf seines Lebens eine Lehre, in Deutschland sind es 55 %. Und in der Schweiz? Hier entscheiden sich über 75 % eines Jahrgangs für eine Berufsausbildung.
In Deutschland und Österreich ist die sogenannte Lehranfängerquote zuletzt – von einem bereits niedrigen Niveau – weiter gesunken. In der Schweiz hingegen hat sie sich auf hohem Niveau recht stabil gehalten. Ebenso interessant: In Deutschland und Österreich gibt es auch absolut gesehen immer weniger Lehrlinge – anders als in der Schweiz.
Abgesehen von den nackten Zahlen, lohnt sich der Blick über die Grenze. In den Nachbarländern leidet auch das Ansehen der Lehre. Die Regierungen beider Länder wollen jetzt Gegensteuer geben. Was läuft dort schief – und was tut die Schweiz, damit es hier nicht genauso kommt? Hier fünf Erkenntnisse.
Deutsche setzen lieber aufs Studium
In Deutschland ist die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge 2024 abermals zurückgegangen. Laut einem «Spiegel»-Bericht gibt es dafür verschiedene Erklärungen: Ein zentraler Trend ist die Akademisierung, die in Deutschland als besonders stark gilt. Immer mehr Schulabgänger streben ein Studium an, das höher angesehen ist und vermeintlich bessere Karrierechancen bietet.
Klassische Lehrberufe haben es bei den Deutschen dagegen schwer – sie «leiden unter einem Imageproblem und gelten als prestigearm», bringt es der «Spiegel» auf den Punkt. Das Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) schlägt in einer aktuellen Studie Alarm: 77 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland sehen dringenden Reformbedarf bei der Berufsausbildung, 71 Prozent fordern ein besseres Image. Die Ausbildung werde von vielen Jugendlichen als zweite Wahl wahrgenommen.
Immerhin: Im Koalitionsvertrag des designierten CDU-Bundeskanzlers Friedrich Merz (69) steht prominent, dass Jugendliche beim Einstieg ins Berufsleben besser unterstützt werden sollen. Die Konsequenzen? Noch nicht absehbar.
Österreich hat Reformen verschlafen
Auch in Österreich will die neue Regierung unter ÖVP-Kanzler Christian Stocker (65) in die Offensive gehen. Die Lehre soll forciert und die Berufsschule modernisiert werden.
Die branchenübergreifende Organisation «Zukunft Lehre Österreich» kritisiert scharf: «Durch das Unterlassen notwendiger Reformen im Bildungswesen und einen Fokus auf Akademisierung leidet die Attraktivität der Lehre seit Jahrzehnten in Österreich.»
Die Lehre sei zwar ähnlich aufgebaut wie in der Schweiz, aber schlechter positioniert, schrieb die Organisation bereits 2021 in einer Analyse. In der Schweiz sei die Wertschätzung höher – auch weil prominente Stimmen sich dafür einsetzten, Eltern sie besser mittrügen und der Anschluss an höhere Bildung einfacher geregelt sei.
Demografie-Knall trifft die Lehre
In beiden Nachbarländern spielen auch strukturelle Unterschiede eine Rolle. Besonders in Deutschland beschleunigt der demografische Wandel den Rückgang noch stärker – immer mehr Menschen verlassen den Arbeitsmarkt in Richtung Rente, und zu wenige Junge kommen nach. Diese Entwicklung ist auch auf dem Schweizer Lehrstellenmarkt spürbar, kann aber bisher besser abgefedert werden.
Schweiz hat System erfolgreich umgebaut
Hinzu kommt: Reformen in der Lehre wurden hierzulande früher umgesetzt. Die Schweiz habe mit der Berufsmaturität, den Fachhochschulen und der höheren Berufsbildung bewusst daran gearbeitet, die Durchlässigkeit der Lehre zu stärken, stellten Forscher der Uni St. Gallen 2023 fest. «Nicht zuletzt dank der Berufsmatura verfügen heute fast 60 Prozent aller Studierenden an Schweizer Fachhochschulen über einen Berufsbildungsabschluss.»
Was tun, um die Misere abzuwenden?
Darf sich die Schweiz also in Sicherheit wiegen? Kaum. Für die Bildungsforscher ist klar: Gewisse Entwicklungen – gerade mit Blick auf die Demografie und den Imageverlust der Lehre – könnten sich auch hier abzeichnen.
Der Unterschied: Die Schweiz hat noch Zeit, gegenzusteuern. Erste Massnahmen laufen bereits – etwa das Grossprojekt «Attraktivität der Berufsbildung», das das Bildungsstaatssekretariat von Bundesrat Guy Parmelin (65, SVP) dieses Jahr lanciert hat. Bis 2028 soll die Berufsbildung weiter gestärkt und ihre Sichtbarkeit erhöht werden. Wirklich fassbar ist vieles davon noch nicht.
Parallel machen Parlamentarierinnen und Parlamentarier Druck. Ihr Ziel: Betriebe belohnen, die Lehrstellen anbieten. So verlangt etwa SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger (51) «gezielte Unterstützungsmassnahmen» – bis hin zu Steuerabzügen für Ausbildungsbetriebe. Der Nationalrat hat Sollbergers entsprechende Motion deutlich angenommen, demnächst kommt sie in den Ständerat.