Knatsch um die Impf-Privilegien
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Ethiker sind sich uneins:Sind Impfprivilegien nun vertretbar oder nicht?

Ungleichbehandlung von Geimpften und Nicht-Impfern sorgt für Streit unter Ethikern
Gerechte Freiheit oder versteckter Zwang?

Nicht alle in der Schweiz wollen sich impfen lassen – das heisst aber, dass ihnen gewisse Nachteile in Sachen Reisen oder Quarantäne blühen könnten. Darüber, ob das gerechtfertigt ist, sind sich selbst Ethik-Experten uneinig.
Publiziert: 23.04.2021 um 01:50 Uhr
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Aktualisiert: 29.04.2021 um 19:45 Uhr
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Menschen, die einen Impfpass besitzen, werden in Zukunft gewisse Freiheiten geniessen können – Impf-Unwillige nicht.
Foto: Keystone
Noa Dibbasey

Welche Freiheiten sollen Geimpfte haben? Diese Frage beschäftigt die Schweiz, seit der erste Corona-Piks gesetzt wurde. Dabei müssen persönliche Rechte gegen die allgemeine Sicherheit abgewogen werden – eine schwierige Entscheidung.

Nun, da es an die Konkretisierung des Impfpasses geht, bekommt die Frage neuen Auftrieb. An einer Medienkonferenz vom Mittwoch eröffnete Gesundheitsminister Alain Berset (49), dass man Freiheiten für Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen – obwohl sie das könnten –, allenfalls wieder beschneiden könnte, wenn sich die epidemiologische Lage verschlechtert.

Und schon früher – wenn etwa 40 bis 50 Prozent geimpft sind – will der Bund allen, die geimpft sind, denen, die bereits Corona hatten und daher immun sind, und jenen, die einen Negativtest vorweisen können, gewisse Freiheiten zurückgeben. Sie sollen etwa Zugang zu Konzerten oder anderen Events erhalten.

«Dann dürfte man auch nicht Auto fahren»

Das hat bei Impf-Unwilligen für Aufruhr gesorgt, sie sehen darin einen Impfzwang durch die Hintertür. Auch bei Ethikern ist diese Frage umstritten. Im Februar hatte die Nationale Ethikkommission (NEK) Vorteile für Geimpfte für zulässig erklärt. Zumindest dann, wenn es um weniger alltägliche Tätigkeiten wie Flugreisen gehe. Und eben: Erst dann, wenn sich alle impfen lassen können, die wollen.

Das aber wollen längst nicht alle abnicken. Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin der Stiftung Dialog Ethik in Zürich, sagt, dass dann Menschen, die sich gar nicht impfen lassen können «zum Beispiel den Jungen unter 16 Jahren oder Allergikern ganz viele Möglichkeiten des guten Lebens» verweigert würden.

«Wir dürfen nicht fremdgefährdend sein – das ist das Hauptargument für Impf-Privilegien», erklärte sie auf Blick TV. Und zog einen Vergleich: «Eigentlich dürfte man dann auch nicht mehr Auto fahren!» Damit gefährde man ja auch andere Menschen.

Vorübergehende Ungleichbehandlungen

Auch der Epidemiologe Marcel Salathé (46) äusserte am Donnerstag Bedenken zu den Impf-Privilegien. «Mir persönlich macht es Sorgen, wenn die Antikörper in meinem Blut plötzlich darüber bestimmen, wo ich hindarf und wo nicht», sagte er gegenüber dem «Tages-Anzeiger».

Der Ethiker Jean-Daniel Strub hingegen stellt sich auf die Seite der NEK: Vorübergehende Ungleichbehandlungen seien gerechtfertigt. «Aber erst dann, wenn sicher ist, dass die Impfung auch von einer Weitergabe der Krankheit schützt.»

«Entscheidungen haben immer Konsequenzen»

Der ehemalige Geschäftsleiter der NEK bekommt Rückendeckung vom Präsidenten der Impfkommission, Christoph Berger. Für den Schweizer Impf-Chef ist klar: Das sei definitiv kein Hintertürchen zum Impfzwang. «Niemand muss sich impfen lassen!» Es sei eine freie Entscheidung, ob man sich piksen lassen möchte oder nicht. Für Berger ist aber auch klar: «Entscheidungen haben Konsequenzen.»

Die Uneinigkeit in der Impf-Thematik ist alt: Die Frage verursachte schon im Januar mächtig Zoff unter den Bundeshaus-Politikern. Die einen forderten eine gesetzliche Grundlage, die es privaten Anbietern – etwa in Kultur, Sport oder Freizeit – erlaubt, in ihr Schutzkonzept ein Impfattest ihrer Kunden aufzunehmen. Andere warnten eindringlich vor der Diskriminierung von Nicht-Geimpften.

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