Umweltschützer sollen kaum mehr Mitsprache bei der Zulassung haben
Wasserwächter warnen vor Pestizid-Maulkorb

Umweltschützer sollen bei der Zulassung von Pestiziden künftig in vielen Fällen nicht mehr mitreden dürfen. Nun warnen die Trinkwasserversorger vor einer Aufweichung des Beschwerderechts.
Publiziert: 09.03.2023 um 00:34 Uhr
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Aktualisiert: 09.03.2023 um 12:20 Uhr
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Der Verband der Trinkwasserversorger hat sich mit einem Brief an den Nationalrat gewandt.
Foto: Keystone
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Martin Sager (58) macht sich Sorgen. Anfang Woche wandte sich der Direktor des Verbandes der Schweizer Trinkwasserversorger (SVGW) in einem Schreiben an die Nationalrätinnen und Nationalräte. Darin warnte er vor einer Gesetzesänderung, über die der Rat am Donnerstag entscheidet. Die Folge wäre, dass Umweltverbände künftig bei der Zulassung von Pestiziden weniger zu sagen hätten.

Nicht nur die betroffenen Umweltverbände, auch die Trinkwasserversorger sind alarmiert. Sager bittet die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die von der Wirtschaftskommission vorgeschlagene Änderung abzulehnen. «Für die Wasserversorger wird es immer schwieriger, genügend sauberes Wasser für die Trinkwasserversorgung zur Verfügung zu stellen», schreibt er im Namen des Verbands. Eine Schwächung der Umweltverbände bei der Pestizid-Zulassung erhöht aus seiner Sicht die Gefahr, dass Stoffe in Umlauf kommen, die die Wasserqualität weiter beeinträchtigen.

Wirtschaftspolitiker wollen zurückbuchstabieren

Seit einem Entscheid des Bundesgerichts von 2018 haben Organisationen wie Pro Natura, WWF oder Greenpeace die Möglichkeit, Einsicht in Zulassungsunterlagen zu verlangen – zum Beispiel, wenn ein Hersteller ein neues Pestizid zulassen, einen bereits bewilligten Wirkstoff für einen neuen Anwendungsbereich nutzen will oder der Bund ein bisheriges Mittel überprüft. Wenn sie den Verdacht haben, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, haben sie ausserdem die Möglichkeit, Beschwerde einzureichen.

Bundesrat und auch Ständerat möchten das Verbandsbeschwerderecht nun im Gesetz verankern. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats aber sträubt sich dagegen. Sie will das Akteneinsichts- und Beschwerderecht einschränken: Umweltorganisationen sollen künftig nur noch ihr Veto einlegen können, wenn es um die Zulassung neuer Wirkstoffe geht oder um die Überprüfung eines schon zugelassenen.

«Ein gefährlicher Weg»

«Das ist ein gefährlicher Weg», findet Sager. «Auch die Neuzusammensetzung bestehender Wirkstoffe oder die Erweiterung von Bewilligungen auf andere Pflanzenkulturen bergen Risiken», sagt er. Deshalb sei es wichtig, dass Umweltverbände auch bei solchen Zulassungsgesuchen mitreden können.

Der Verband Scienceindustries, der auch die Interessen der Pestizidhersteller vertritt, sieht es anders. Im Bewilligungsverfahren würde sowieso eine wissenschaftliche Risikoabschätzung vorgenommen, unabhängig von der Möglichkeit des Verbandsbeschwerderechts, sagt Geschäftsleitungsmitglied Pia Guggenbühl. Die Pestizidhersteller argumentieren ausserdem, dass die Beschwerdemöglichkeit für Umweltverbände einen «enormen zusätzlichen administrativen Aufwand für die Behörden» bedeute.

Gemäss Scienceindustries handelt es sich beim umstrittenen Vorschlag der nationalrätlichen Wirtschaftskommission um einen «Mittelweg» zwischen dem, was das Bundesgericht vor fünf Jahren entschieden hat und dem, was der Bundesrat nun ins Gesetz schreiben will. Fakt ist jedoch: Umweltschutzverbände können heute bei allen Zulassungsverfahren mitreden. Laut WWF hätte man künftig in ungefähr 90 Prozent der Fälle nichts mehr zu melden.

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