Die Umweltverbände gehen auf die Barrikaden, und auch der Konsumentenschutz spricht von einem No-Go. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats hat am Dienstag einen höchst umstrittenen Entscheid getroffen: Künftig sollen Umweltverbände und andere Organisationen bei Zulassungsverfahren von Pestiziden weniger Mitspracherechte haben.
Ein wichtiger Etappensieg für die Pestizid-Hersteller. Diesen verdanken sie den Bürgerlichen, die sich gegen Wirtschaftsminister Guy Parmelin (63, SVP) stellen. Der Bundesrat möchte nämlich das Gegenteil: Die Naturschutzorganisationen stärker in den Zulassungsprozess miteinbeziehen.
Chemie-Lobby malt schwarz
Seit sich der WWF 2018 vor Bundesgericht gegen den Bund durchgesetzt hat, haben die Organisationen bei der Überprüfung von Pestizid-Zulassungen ein Mitspracherecht und können Einsicht nehmen in die Bewilligungs-Unterlagen. Nicht aber, wenn es um die Neuzulassung eines Pestizids geht. Neu sollen sie auch da Protest einlegen können, wenn ernsthafte Umwelt- oder Gesundheitsbedenken bestehen.
Der Ständerat hatte der Änderung 2022 zugestimmt. Der Wirtschaftskommission ist sie aber ein Dorn im Auge. Der Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse hatte die Wirtschaftspolitiker im Vorfeld «eindringlich» gebeten, den Vorschlag des Bundesrats «ersatzlos zu streichen». Die Agrarkonzerne warnten: Die Zulassung neuer Pestizide würde sonst «extrem verzögert oder teilweise sogar verunmöglicht».
Problem liegt woanders
Eine Argumentation, die bei den Bürgerlichen verfing. Dabei sei sie «völlig falsch», so GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy (43). Sie räumt ein, dass die Zulassungsverfahren sehr lange dauern. «Das liegt aber nicht am Recht der Verbände, Beschwerde einzureichen. Sondern daran, dass der Bund unter anderem zu wenig Stellen hat, um die vielen Gesuche zu bearbeiten.»
Das hat die Bundesverwaltung selbst so festgehalten. Wie sie auf Nachfrage gesagt habe, seien es «eher Ressourcenprobleme innerhalb der Verwaltung gewesen, die zu verzögerten Zulassungen geführt hätten», berichtete der Zuger Mitte-Ständerat Peter Hegglin (62) im Dezember in der Parlamentsdebatte. Inzwischen aber habe man mehr Personal eingestellt.
Laut WWF haben die Umweltorganisationen seit 2018 bloss in zwei Fällen Beschwerde eingereicht – bei rund 700 hängigen Dossiers. «Sehr viele Gesuche sind schon seit fünf oder mehr Jahren hängig, also schon lange bevor die Umweltorganisationen ein Mitspracherecht erhielten», sagt Eva Wyss vom WWF.
Scienceindustries, der Verband der Unternehmen der chemischen Industrie, Pharma und Biotechnologie halten dem entgegen, dass die Zahl der bisher eingereichten Beschwerden nicht aussagekräftig sei. Man gehe davon aus, dass die Umweltverbände sich mindestens bei jedem zweiten Zulassungsantrag einschalten würden.
«Man will zulassen, was nicht zugelassen werden sollte»
Für Bertschy steht trotzdem fest, dass es sich bei dieser Begründung um ein «Ablenkungsmanöver» der Chemie-Lobby handelt. «Man will Produkte zulassen, die nicht zugelassen werden sollten.»
Mitte-Nationalrat Markus Ritter (55) wehrt sich gegen den Vorwurf. Der Bauernpräsident sagt, es sei «nicht die Absicht, Umweltorganisationen aus dem Spiel zu nehmen». Die Zulassungsverfahren für Pestizide seien in der Schweiz heute schlichtweg «Wahnsinn». Grosse Player hätten kaum ein Interesse, den Aufwand auf sich zu nehmen – zum Nachteil der Bauern, denen es an wirksamen Mitteln beispielsweise gegen Schädlinge oder Pilzbefall fehle.
Jetzt entscheidet der Nationalrat
Nebst dem Protest gegen mehr Mitspracherecht kämpfen die Bürgerlichen noch an anderer Front für die Chemie-Lobby: Der Vorschlag steht im Raum, dass die Schweiz künftig die Pestizid-Zulassung der EU und deren Mitgliedstaaten übernimmt. In diesem Fall ist sogar die SVP für die automatische Übernahme von EU-Recht. Was das für die Umweltverbände bedeuten würde, ist noch unklar.
Kathrin Bertschy sowie ihre Verbündeten von den Linken hoffen auf den Nationalrat, der im März entscheidet. Es ist möglich, dass der Wind noch dreht. Und auch wenn die Bürgerlichen und mit ihnen die Pestizid-Hersteller erneut obsiegen, ist für die Umweltverbände nicht alles verloren. Denn dann müssen Stände- und Nationalrat einen Kompromiss finden.