Plötzlich spitzten alle die Ohren: Fedpol-Chefin Nicoletta della Valle (62) hatte vergessen, vor einer Sitzung der «Task Force Naher Osten» ihr Handy auszuschalten. Das Gremium, das seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober tagt, bekam della Valles Klingelton zu hören: die «haTikwa» (Die Hoffnung), Israels Nationalhymne.
Della Valle hat einen engen Bezug zu Israel. Nach der Matura ging sie für einige Zeit in einen Kibbuz, so etwas wie eine staatliche Landkommune. Aus Solidarität mit Israel trug sie eine Halskette mit Davidstern. Wie aus ihrem Umfeld zu hören ist, ging ihr der Angriff der Hamas im Oktober nahe. Sie kommentierte auf dem Netzwerk LinkedIn die Ereignisse im Nahen Osten. Mit Vorliebe teilte sie Posts, die eine klare Pro-Israel-Schlagseite haben.
«Tomaten sind das neue Kokain»
Der Nahostkonflikt ist eines der wenigen Themen, bei denen della Valle persönlich spürbar wird. Bei anderen Themen weiss man nicht, ob es ihr um die Sache geht oder um Show. Wenn das Mafiageschäft in der Schweiz zum Thema wird, liefert della Valle knackige Zitate wie «Tomaten sind das neue Kokain». Wenn es um konkrete Handlungen ihrer Behörde geht, wird sie zurückhaltender.
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Besonders peinlich für die Fedpol-Chefin: Letztes Jahr musste sie nach einem Hackerangriff Datenabflüsse bei der Softwarefirma Xplain vermelden. Auf dem Schreibtisch der Finanzministerin Karin Keller-Sutter (60) liegt ein Gutachten der Kanzlei Oberson Abels zu diesen Vorgängen. «Der Bericht wird veröffentlicht, wenn der Bundesrat davon Kenntnis genommen hat», teilt das Finanzdepartement mit. Ob der Bericht della Valle belastet, will man nicht verraten. Klar ist: Die Fedpol-Chefin hat Xplain keiner Sicherheitsüberprüfung unterzogen.
Wie gross ist ihr goldener Fallschirm?
Am Mittwoch wurde bekannt, dass della Valle auf Januar 2025 zurücktritt. Das von Bundesrat Beat Jans (59) geführte Justizdepartement will den Umfang ihres goldenen Fallschirms nicht verraten. Aus der Bundesverwaltung ist jedoch zu hören, dass ein Jahresgehalt als Abgangsentschädigung üblich sei – also rund 330’000 Franken. Möglicherweise gibt es auch Zuschüsse für die AHV- und Pensionskasse.
Dabei hinterlässt die scheidende Chefin ein Haus voller Probleme. Fünf Beispiele:
1. Schlechte Stimmung im Fedpol
Es rumort im Fedpol, wie aus einer Mitarbeiterumfrage 2023 hervorgeht, die SonntagsBlick mithilfe des Öffentlichkeitsgesetzes einsehen konnte. Auf die Frage, ob die oberste Leitung die dringlichen Probleme angehe, antworten nur 50 Prozent mit Ja.
2. Spektakuläre Äusserungen
Della Valle hat ein Talent für Schlagzeilen. So sagte sie den Zeitungen von CH Media: «Wir sehen auch Politiker, die sich mit Exponenten der Organisierten Kriminalität zum Mittagessen treffen.» Konkreter wollte sie nicht werden. Sicherheitspolitiker kritisieren das. Bis heute weiss die Öffentlichkeit nicht, ob della Valle gegen Politiker wegen Verbindungen zur Mafia ermittelt.
3. Knatsch mit den Kantonen
Kritik an der Zusammenarbeit mit dem Fedpol äussern die Kantone. Das Fedpol ist vor allem für Koordinierungsarbeiten zuständig und auf Zusammenarbeit mit den Kantonen angewiesen. Doch es gibt keinen unkomplizierten Informationsfluss: «Della Valle beklagt sich, sie habe zu wenig Personal. Mit klaren Prioritäten und einem besseren Teamplay mit den Kantonen wäre viel gewonnen», sagt ein kantonaler Polizeivertreter.
4. Knatsch mit der Bundesanwaltschaft
Mit dem Abgang von Michael Lauber (58) hat sich das Verhältnis zwischen della Valle und der Bundesanwaltschaft massiv verschlechtert. Scherzhaft beschrieb della Valle die Rollenverteilung einmal so: Lauber sei der Chirurg, sie die Oberschwester. Seit Stefan Blättler (65) an der Spitze der Bundesanwaltschaft steht, spricht della Valle nur noch von «meinem Bundesanwalt». Blättler kritisierte das Fedpol öffentlich und warf der Behörde Untätigkeit vor.
5. Passivität
Manche Sicherheitspolitiker betrachten della Valle als «Ankündigungsministerin», sie fordere stets mehr Personal und Möglichkeiten, statt bestehende Spielräume zu nutzen. Während ihrer Amtszeit wurden mehrere Gesetze verschärft, was Kriminelle aber kaum zu spüren bekamen. Stattdessen jage eine Reorganisation die nächste, monieren Kritiker.
Als Frau in einer Macho-Kultur
Nicoletta della Valle will diese Vorwürfe aktuell nicht kommentieren: «Unsere Direktorin wird für Gespräche da sein – im Herbst. Sie äussert sich jetzt, über neun Monate im Voraus, noch nicht zu ihrem Rücktritt», teilt das Fedpol mit.
Kritiker halten della Valle zugute: Als Frau habe sie es verstanden, sich in einer Macho-Kultur durchzusetzen. Und von Christoph Blocher (83) – der sie zur Vizedirektorin des Fedpol machte – bis hin zu Beat Jans konnte sie sich mit sehr unterschiedlichen Bundesräten arrangieren. Das Justizdepartement betont, della Valle geniesse nach wie vor das Vertrauen von Bundesrat Jans.
3.5.2024, 10.00 Uhr: Wir haben eine Passage gelöscht, wonach della Valles LinkedIn-Posts zu einer Beschwerde des Aussendepartements EDA geführt hatten.