Ueli Maurer half fleissig mit
Wie sich die Reederei MSC ein Steuergeschenk bastelte

Die Tonnagesteuer gilt als umstritten. Nun zeigen Recherchen des Magazins «Reflekt», wie der Gesetzesentwurf dazu entstanden ist und wie das Schifffahrtsunternehmen MSC die Eidgenössische Steuerverwaltung bearbeitete, um sich selbst ein Steuergeschenk zu basteln.
Publiziert: 18.02.2024 um 11:50 Uhr
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Aktualisiert: 19.02.2024 um 09:28 Uhr
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Über 3600 Schiffe steuern Schweizer Unternehmen auf den Weltmeeren. Darunter etwa die weltgrösste Containerreederei, die Mediterranean Shipping Company (MSC), mit Sitz in Genf.
Foto: keystone-sda.ch

Am Montag diskutiert die Wirtschaftskommission des Ständerats die umstrittene Tonnagesteuer. Diese sieht vor, dass Schifffahrtsgesellschaften mit Sitz in der Schweiz nicht mehr nach ihrem Gewinn besteuert werden, sondern nach ihren Transportkapazitäten. Das neue Gesetz hätte für die Schifffahrtsunternehmen Steuererleichterungen in Millionenhöhe zur Folge.

Was bisher nicht bekannt war: Die Ausarbeitung des Gesetzes prägte ausgerechnet der Konzern, der mutmasslich am meisten davon profitieren würde: die Mediterranean Shipping Company (MSC) mit Sitz in Genf. Das zeigen detaillierte Recherchen des Magazins «Reflekt».

Die MSC ist das grösste Schifffahrtsunternehmen der Welt. Sie betreibt 800 Schiffe, hat 150'000 Mitarbeitende und 2022 schätzungsweise 30 Milliarden Franken Gewinn eingefahren. Die MSC-Besitzer Gianluigi (83) und Rafaela Aponte (78) gehören laut Bilanz zu den fünf Reichsten der Schweiz. Mit der neuen Tonnagesteuer könnte das Unternehmen Millionen sparen.

MSC-Besitzer trifft Finanzminister Maurer

Dokumente, die «Reflekt» mithilfe des Öffentlichkeitsgesetzes erhalten hat, zeigen: Noch bevor das Gesetz in der Bundesverwaltung überhaupt richtig Fahrt aufnahm, traf MSC-Besitzer Gianluigi Aponte im Frühjahr 2020 den damaligen Finanzminister Ueli Maurer (73, SVP) zum persönlichen Gespräch. Eingefädelt hatte das Treffen die Genfer Finanzdirektorin Nathalie Fontanet (59, FDP).

Fünf Tage vor dem Treffen schrieb ein Mitarbeiter Maurers an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV): «Es ist nicht auszuschliessen, dass am Rande auch Steuerthemen zur Sprache kommen werden. Daher möchten wir die ESTV bitten, ebenfalls eine Vertretung vorzusehen.»

Zum Treffen selbst gibt es keine Unterlagen. Maurers Finanzdepartement (EFD) versicherte später, die Tonnagesteuer sei bei diesem Treffen kein Thema gewesen. E-Mails, die «Reflekt» vorliegen, zeigen aber: Kurz nach dem Treffen zwischen Maurer und Aponte beschleunigte die ESTV die Arbeit am Tonnagegesetz. Das Dossier sei irgendwann «von einem ungeliebten Kind zum Projekt von Ueli Maurer geworden», sagt ein Insider dem Recherche-Magazin.

MSC «kapert» Reederverband

In der gleichen Zeit rüstete MSC politisch auf. Das Unternehmen verliess den gut vernetzten Branchenverband STSA und trat dem kaum bekannten Reederverband Swiss Shipowners Association bei. Neuer Generalsekretär wurde dort Olivier Straub, Lobbyist und Steuerexperte bei MSC. Das Unternehmen «kaperte» den Verband also sprichwörtlich. E-Mails belegen, dass MSC-Lobbyist Straub über seine Verbandsfunktion direkt mit der Steuerverwaltung kommunizierte.

Über Wochen wurde ab Dezember 2020 schliesslich über das sogenannte Flaggenerfordernis diskutiert – ein zentraler Punkt der Vorlage. Und darum, wie dieses für Unternehmen möglichst vorteilhaft ausgestaltet werden könnte. Das geht aus dem Mailverlauf zwischen Steuerverwaltung und Reederverband hervor. Die Flaggenerfordernis regelt, welche Unternehmen unter welchen Voraussetzungen von der Tonnagesteuer profitieren können.

Die Schweiz könnte durch die Tonnagesteuer regulierend eingreifen und den Unternehmen Auflagen machen – etwa in den Bereichen Arbeitsrecht oder Umwelt. Gewerkschaften, Linke und Grüne unterstützen deshalb ein strenges Flaggenerfordernis. Nicht aber die MSC – für sie wäre das ein Problem. Der Grund: Die meisten Schiffe des Unternehmens fahren unter Billigflaggen aus Liberia oder Panama. Heisst, der Konzern muss sich so nicht an europäische Arbeitsrechte halten.

Steuerverwaltung knickt ein

Kein Wunder, schmetterte die Swiss Shipowners Association unter Generalsekretär Straub sämtliche Vorschläge ab, die Tonnagesteuer an ein Flaggenerfordernis zu binden. Am Ende strich die Steuerverwaltung ihre Segel, schrieb dem Reederverband: «Alle flaggenbezogenen Bedingungen einfach zu streichen, scheint (…) der beruhigendste Ansatz zu sein.»

So ist es im aktuellen Gesetzesentwurf entsprechend verankert. Von der Tonnagesteuer können also alle Schiffe profitieren, deren Land die vier wichtigsten Seeverkehrsübereinkommen unterzeichnet haben. Es ist mehr oder weniger eine Formsache, denn unter diese Bedingungen fallen praktisch alle Staaten, die über eine Flagge verfügen.

Die Steuerverwaltung weist gegenüber «Reflekt» den Vorwurf zurück, dass sie ein Gesetz mit und für MSC ausgearbeitet habe. Das Schifffahrtsunternehmen MSC liess lediglich ausrichten: «Wir finden nicht, dass MSC die Fragen beantworten soll.» «Reflekt» solle diese dem Reederverband stellen. Und der Verband schreibt auf die Frage nach der Rolle von MSC bloss: Die Einführung der Tonnagesteuer sei für alle Mitglieder des Verbands ein wichtiges Ziel.

Ständerat als letzte Hürde

Im Mai 2022 sprach sich der Bundesrat für die Tonnagesteuer aus – trotz vorgängiger Diskussionen darüber, ob diese überhaupt verfassungskonform ist. Wegen der Ungleichbehandlung verschiedener Sektoren. Der Nationalrat zog Ende 2022 nach und stimmte der Steuer ebenfalls zu. Es ist ein Sieg der bürgerlichen Parteien, SP, Grüne und GLP hatten sich dagegen gestemmt.

Nun nimmt die Tonnagesteuer im Ständerat also die letzte Hürde. Nachdem das Stöckli vergangenen Herbst auf die Bremse getreten ist und das Geschäft verschoben hat. Als Grund haben bürgerliche Politiker weitere Abklärungen zu den finanziellen Auswirkungen und der Verfassungsmässigkeit genannt. Denn als Verfassungsgrundsatz gilt die steuerliche Gleichbehandlung. Und die Tonnagesteuer würde das umgehen. (oco)

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