Die Schweiz ist eines der bedeutendsten Handelszentren für Rohstoffe. 900 Unternehmen mit Bezug zur Branche haben hier ihren Sitz. Darunter Händler, Reedereien, Überwachungsgesellschaften, Rechtsanwälte, Treuhandfirmen und Banken. Sie spielen eine Schlüsselrolle im Handel mit Getreide, Metallen oder Öl. Und sie sorgen regelmässig für Schlagzeilen. Steuerhinterziehung, Ausbeutung, Umweltverschmutzung: Die Liste ist lang. Erst im Mai akzeptierte der Rohstoffriese Glencore eine Milliardenstrafe wegen Korruptionsfällen.
Privilegien trotz dubiosen Geschäftspraktiken
Die zuweilen dubiosen Geschäftspraktiken der Multis hindern Finanzminister Ueli Maurer (SVP) nicht daran, der Skandalbranche weitere Privilegien in Aussicht zu stellen. Künftig sollen die für den Transport der Rohstoffe so wichtigen Schifffahrtsgesellschaften steuerlich begünstigt werden. Die Bedeutung der Rohstoffbranche sei für die Schweizer Volkswirtschaft ungebrochen gross, so die Botschaft aus dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD). Dessen Hoffnung: Mehr Steuersubstrat durch Wachstum.
Tonnage-Tax für eine attraktivere Schweiz
Um den Standort Schweiz für die Branche noch attraktiver zu machen, soll eine sogenannte Tonnage-Tax eingeführt werden. Die Gesetzesvorlage, über die die Wirtschaftskommission des Nationalrats nächsten Montag debattiert, sieht vor, dass Schifffahrtsgesellschaften mit Sitz in der Schweiz nicht mehr nach ihrem Gewinn besteuert werden, sondern nach ihren Transportkapazitäten.
Im Kern ist die Tonnage-Tax ein Steuerprivileg für reiche Reeder. «Sie führt bei rentablen Seeschifffahrtsunternehmen zu einer vergleichsweise tiefen Steuerbelastung», lässt selbst das EFD verlauten. Berechnungen zeigen, dass so die Steuerlast für Reedereien markant sinken würde. Unter dem Strich bliebe ein relativ kleiner Betrag für den Fiskus – Einnahmen aus Schiffsunternehmungen wären praktisch steuerfrei und könnten so an der globalen Mindeststeuer von 15 Prozent vorbeigeschleust werden.
Firmen könnten ihre Steuerlast extrem minimieren
Geldwäsche-Experte Mark Pieth glaubt, dass Reedereien dann im Mittel nur noch sieben Prozent Steuern bezahlen, «viele aber wohl eher gegen null». Der Bund sieht zudem einen Steuerrabatt von bis 30 Prozent vor, wenn die Frachter umweltfreundlich betrieben werden.
Von diesen Geschenken würden vor allem die Rohstoffriesen profitieren. Händler wie Trafigura und Glencore sind bereits heute über Tochtergesellschaften im Transport ihrer eigenen Rohstoffe aktiv, zumindest aber an den ausführenden Unternehmen beteiligt. Glencore zum Beispiel hielt bis 2017 eine Beteiligung von fast 50 Prozent an Swiss Marine, eine der grössten Schüttgutreedereien der Welt.
Würde die Tonnage-Tax eingeführt, könnten Firmen wie Glencore viele ihrer Einnahmen auf diese Transportgesellschaften buchen. Die Multis hätten also die Möglichkeit, ihre Gewinne dorthin zu verschieben, wo die Steuerlast am tiefsten ist. Solche Privilegien kennt keine andere Branche in der Schweiz.
Brancheninsider warnen
Für die Rohstoffhändler habe dies höchste Priorität, erklären zwei Brancheninsider, die jahrelang juristisch für grosse Schweizer Handelsunternehmen tätig waren. «Die Tonnage-Tax ist eine der einfachsten Möglichkeiten, die Steuerlast zu verringern», sagt einer von ihnen zu SonntagsBlick. Beide Insider gehen davon aus, dass die Handelshäuser deshalb das Engagement in den Ausbau ihrer Transportaktivitäten weiter vorantreiben.
«Für Handelskonzerne mit grossen eigenen Flotten könnten sich erhebliche Steuerersparnisse ergeben, da sie ihre eigenen Verträge so umschichten werden, dass die Gewinne in den Schiffsbetrieb fliessen.» Und weiter: «Wenn es vorteilhaft ist, mehr für Schiffsdienstleistungen zu zahlen, weil diese Gewinne einem deutlich niedrigeren Steuersatz unterliegen, steht es dem Konzern frei, dies zu tun, sofern die Steuerbehörde davon überzeugt werden kann, dass die Zahlungen rechtmässig sind.»
«Lobbyisten haben praktisch den gesamten Gesetzesentwurf diktiert»
Wie aber investieren die Rohstoffmultis in ihre «Transportaktivitäten»? «Entweder sie (die Händler) gründen eigene Schifffahrtsunternehmen oder kaufen defizitäre Reedereien auf. Die Schiffe werden dann via Handelsunternehmen in die Rohstoffkonzerne integriert, oder es werden komplexe Eigentumsstrukturen kreiert, die es den Handelsunternehmen ermöglichen, die Betriebskontrolle über eine grössere Anzahl von Schiffen zu übernehmen», sagen die Insider.
Damit nicht genug: «Bei der Ausgestaltung des Gesetzesentwurfs hat sich die offizielle Schweiz von den Lobbyisten der Swiss Trading and Shipping Association praktisch alles diktieren lassen», sagt Pieth. So hat der Branchenverband durchgesetzt, unter welcher Flagge die Frachter in See stechen. Das ist entscheidend.
EU löst Problem mit Flaggenerfordernis
Zum Vergleich: Die Mehrzahl der EU-Staaten kennen die Tonnage-Steuer bereits. Sie haben die Reeder aber im Gegenzug dazu verpflichtet, dass mindestens 60 Prozent der Tonnage unter der Flagge eines Mitgliedslands unterwegs sind. Grund dafür ist die Durchsetzung der internationalen Vorschriften, gemäss denen traditionellerweise der Flaggenstaat zuständig ist.
So sind die Vorschriften in der EU bezüglich Arbeitsbedingungen, Sicherheits- und Umweltstandards höher als anderswo, die Kontrollen engmaschiger und strikter. «Doch das Finanzdepartement ist vor den Multis eingeknickt und hat auch diese Verpflichtungen aus der Vorlage gekippt», sagt Pieth.
Flaggenerfordernis für EFD zu restriktiv
Würde die Tonnage-Tax in der heutigen Form eingeführt, wäre es den Reedern also weiterhin erlaubt, unter dem Banner von Billigländern in See zu stechen. Besonders beliebt sind Panama, Liberia oder die Marshallinseln – dort gelten internationale Vorschriften höchstens auf dem Papier. «Die Rohstoffmultis werden mit dieser Vorlage gleich doppelt belohnt: mit tiefen Steuern und Rechtsfreiheit», sagt Pieth. Das EFD kontert: Das Flaggenerfordernis von 60 Prozent sei zu restriktiv und stehe in Konflikt mit internationalen Abkommen.
Wie dem auch sei: Die konkrete Ausgestaltung des neuen Steuerregimes dürfte in jedem Fall für hitzige Debatten sorgen.