Es war ein eindringlicher Appell von Pascal Strupler (61), Chef des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Angesichts der rasant steigenden Corona-Neuinfektionen forderte Strupler die Kantone auf, die Schutzmassnahmen gegen das Virus zu verschärfen. Sie sollten beispielsweise eine Maskenpflicht in Geschäften einführen. Zudem schlägt das BAG eine obligatorische Kontrolle der Kontaktdaten in Ausgehlokalen sowie eine maximale Gästezahl von 100 Personen in diesen Lokalen vor.
Die Kantone – die seit sechs Wochen in der Hauptverantwortung bei der Eindämmung des Virus stehen – sind deutlich entspannter. Zwar sagte der oberste Schweizer Kantonsarzt Rudolf Hauri, die Kantone würden eine Maskenpflicht in Geschäften oder öffentlich zugänglichen Räumen prüfen. Und je nach regionalen Gegebenheiten würden sie entsprechende Verschärfungen auch verordnen.
Kantone sind mit sich zufrieden
Doch eine gleichzeitig verschickte Medienmitteilung der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) spricht eine andere Sprache. Der Vorstand, der sich am Donnerstagvormittag getroffen hatte, ziehe nach den ersten sechs Wochen in der «besonderen Lage», in der die Kantone für die Eindämmung des Virus zuständig sind, ein «vorwiegend positive Bilanz»: «Wo nötig, haben die Kantone Massnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus getroffen.»
Der Bund sieht das allerdings völlig anders, wie Struplers Voten beweisen. Er fordert, dass die Kantone ihre Massnahmen harmonisieren. Einzelne Kantone hätten zwar schon schärfere Massnahmen ergriffen. Es brauche aber «einheitliche und widerspruchsfreie Verhaltensregeln», so Strupler.
Die unterschiedlichen Regeln hätten «bisher nicht zu Problemen geführt», widerspricht GDK-Präsident und baselstädtischer Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger (45) in der Medienmitteilung. Die Kantone tauschen sich über die beabsichtigten und ergriffenen Massnahmen aus – und das funktioniere gut.
Auf Nachfrage von BLICK erklärt GDK-Sprecher Tobias Bär (34) man erachte die einzelnen Empfehlungen des Bundes als sinnvoll. «Einige Kantone kennen bereits eine Maskenpflicht in Geschäften. Weitere dürften nun nachziehen.» Kantonale Unterschiede werde es in der besonderen Lage, in der wir uns befinden, aber weiterhin geben.
Kantone wollen keine Grossveranstaltungen bis Ende Jahr
Von einer generellen Maskenpflicht, auf die sich die Kantone einigen, ist daher nicht auszugehen. Auch wenn die GDK eine solche Empfehlung abgeben könnte. Stattdessen beschränken sich die Gesundheitsdirektoren auf einen erneuten Appell an die Bevölkerung, sich «weiterhin an die Abstands- und Hygieneregeln zu halten». Insbesondere beim Reiseverkehr, aber auch in den Schwimmbädern, am Arbeitsplatz und beim Einkaufen seien gegenseitige Rücksichtnahme und Vorsicht angezeigt.
Die Kantone tun sich schwer damit, einheitliche Lösungen zu finden. Am ehesten befürworten noch die Westschweizer Kantone schweizweite Lösungen. Sie sind generell weniger skeptisch gegenüber zentralen Ansätzen und leiden im Moment stark unter den steigenden Fallzahlen. Doch auch sie haben – wie die übrigen Kantone – wenig Interesse daran, Macht an den Bund abzugeben. Lieber wollen sie selber entscheiden. Doch sollten die Fallzahlen in den nächsten Wochen stark ansteigen, ist nicht auszuschliessen, dass der Bund das Zepter wieder an sich reisst.
Vorsicht wollen die Gesundheitsdirektoren auch mit Blick auf Grossveranstaltungen walten lassen. Die Mehrheit der Kantone spricht sich dafür aus, das Verbot von Veranstaltungen mit über 1000 Personen vorerst bis Ende Jahr zu verlängern. Im November soll dann erneut geprüft werden, ob eine Lockerung möglich ist. (sf)