Die SVP will Asylsuchende nach Afrika schicken. Dort, so schlug es Parteipräsident Marco Chiesa kürzlich vor, sollten die Asylverfahren durchgeführt werden. So wie es Grossbritannien machen will: Die dortige Regierung will illegal ins Land eingereiste Migranten nach Ruanda abschieben.
Neu ist die Idee nicht: Immer wieder bringen Politiker die Idee von Asylverfahren in Drittstaaten ins Spiel. Auch vor dem EU-Sondergipfel zu Migration am Donnerstag tauchte sie auf.
Asylgesetz müsste geändert werden
Doch so einfach ist das Vorhaben nicht, wie Migrationsrechtsexperte Alberto Achermann sagt. Würde die Schweiz Asylverfahren in einen Drittstaat auslagern wollen, müsste sie als Erstes ihr eigenes Asylrecht ändern. «Unter geltendem Recht geht das nicht», erklärt der Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern.
Auch müsste geklärt werden, ob dies die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zulässt, die die Schweiz unterzeichnet hat. Der Experte bezweifelt, dass unter der EMRK ein Asylsuchender in ein Land gebracht werden darf, das er nie betreten hat, das er nicht kennt und dessen Sprache er nicht spricht.
Es würde wohl zur Abstimmung kommen
Würde die EMRK dies nicht erlauben, müsste die Schweiz das Abkommen kündigen. «Das ist zwar rechtlich möglich, hätte aber weitreichende Konsequenzen, etwa auch den Ausschluss aus dem Dublin-Asylsystem», sagt Achermann. Das heisst: Die Schweiz könnte Asylsuchende beispielsweise nicht nach Italien zurückschicken, auch wenn diese dort schon ein Gesuch gestellt hatten.
Die Änderung des Asylgesetzes und die EMRK-Kündigung dürfte zudem einige Zeit dauern. Für den Migrationsrechtsexperten ist ausserdem eine Kündigung politisch nicht denkbar – entsprechende Pläne kämen ziemlich sicher vors Volk. Und ob dieses ja sagt, ist zweifelhaft.
Rechtliche Unsicherheit
Wären diese rechtlichen Hürden überwunden, müsste die Schweiz einen Staat finden, der bereit ist, einen Teil seines Staatsgebietes der Schweiz zur Durchführung von Asylverfahren zu überlassen. «Dies dürfte nicht allzu einfach werden», sagt Achermann.
Selbst wenn ein solches Land gefunden würde, wäre das mit weiteren Unsicherheiten verbunden. «Es könnte ja sein, dass es in diesem Land kurze Zeit nach Abschluss des Abkommens einen Regierungswechsel gibt – durch Wahlen oder einen Putsch.» Unklar wäre dann, ob die neue Regierung das Arrangement akzeptieren oder es ganz abbrechen würde. «Dann müsste die Schweiz wieder von neuem beginnen.» Auch bereits getätigte Zahlungen wären unter Umständen hinfällig.
Zudem sei zu bedenken, dass die Schweiz damit einen sensiblen Bereich möglicherweise in die Hände eines Despotenstaates gebe. «Damit würde sie sich erpressbar machen», gibt er zu bedenken.
Schweiz müsste Personal stellen
Hätte die Schweiz tatsächlich ein Land gefunden, müsste sie dort die ganze Infrastruktur aufbauen: Unterkünfte, Sicherheitsanlagen, Büros, Computersysteme und vieles mehr. Auch bräuchte es Personal wie Beamten, die die Verfahren durchführen, Übersetzerinnen für die unterschiedlichsten Sprachen, Juristinnen sowie Sicherheitspersonal.
Das Personal müsste aus der Schweiz ins Land gebracht werden. «Die Schweiz müsste Hunderte von Leuten finden, die bereit sind, an einem solchen Ort zu arbeiten», sagt Achermann. Dass man genügend Personal dafür finden würde, bezweifelt er. Würde die Schweiz hingegen Arbeitskräfte vor Ort rekrutieren, müssten diese entsprechend geschult werden und Schweizer Regeln durchsetzen.
Auch müsste geklärt werden, was mit jenen Menschen geschieht, deren Asylgesuche abgelehnt würden. Es bräuchte Absprachen zwischen drei Staaten: der Schweiz, dem Land, in dem die Verfahren durchgeführt werden, und dem Herkunftsstaat der asylsuchenden Person. Doch schon heute, wo nur zwei Staaten involviert seien, sei es nicht einfach.
Idee wird seit 50 Jahren diskutiert
Gemäss Achermann wird die Auslagerung von Asylverfahren seit 50 Jahren diskutiert. «Die Idee ist wie ein Zombie, der immer mal wieder auftaucht.» Bis jetzt seien in Europa alle Versuche gescheitert. Ausserhalb Europas habe Australien seine Migranten und Flüchtlinge auf kleinen vorgelagerten Inseln in Camps untergebracht.
Das Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und Ruanda sei «das erste konkrete Projekt». So weit sei man noch nie gekommen. «Es ist aber auch noch kein Asylsuchender nach Ruanda überführt worden.»
Auch nicht in Grossbritannien: Der europäische Menschenrechtsgerichtshof stoppte den ersten Flug nach Ruanda. Später entschied der High Court in London, die Durchführung von Verfahren in Ruanda könnten zwar konform mit der Flüchtlingskonvention sein, das Gericht verlangt aber, dass jeder Einzelfall genau geprüft wird. Damit dürften schnelle Abschiebungen kaum mehr möglich sein. Der letzte Entscheid steht noch aus. (SDA/sf)