Der Fall Windisch sorgt für Empörung: 49 Mieter sollen ihre Wohnungen verlassen, um rund 100 Asylsuchenden Platz zu machen. Gegen die Pläne des Kantons wehrt sich nun die Aargauer Gemeinde. Kritik kommt auch aus der Politik.
«Dieser Fall ist ein Skandal», sagt SVP-Präsident Marco Chiesa (48) zu Blick. Und es sei kein Einzelfall. «Schweizerinnen und Schweizern ihre Wohnungen zu kündigen, um Asylsuchende einzuquartieren, ist die schlimmste Entscheidung, die man treffen kann.» Der Tessiner sieht darin einen «Beweis für das Asyl-Chaos, welches in unserem Land herrscht».
Aufruf an SVP-Gallati
Bloss, der für das Asylwesen verantwortliche Regierungsrat im Kanton Aargau ist mit Jean-Pierre Gallati (56) ausgerechnet ein SVP-Mann. Er könne zwar verstehen, dass die Asylsituation die Kantone vor Probleme stelle, so Chiesa. «Aber es darf nicht sein, dass Schweizer deswegen benachteiligt werden und auf der Strasse landen.»
Er hat daher eine klare Aufforderung an seinen Parteikollegen: «Herr Gallati muss in diesem Fall über die Bücher gehen und dafür sorgen, dass die Mieter in ihren Wohnungen bleiben können.»
Der SVP-Chef hat einen weiteren Rat für Gallati parat. «Die Kantone müssen auf die Hinterbeine stehen und dem Bund klar sagen: Es reicht jetzt!», sagt der Tessiner. «Verantwortlich für die unhaltbaren Zustände in den Kantonen ist die verfehlte Asylpolitik des Bundes – Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider muss jetzt endlich handeln.»
SVP will Zuwanderung bremsen
Kantone und Gemeinden müssten nun ausbaden, was der Bund angerichtet habe, so Chiesa. «Wir haben schon lange vor den Missständen gewarnt, deshalb sind diese Fälle auch nicht überraschend.»
Die SVP habe dazu ein Positionspapier vorgelegt. «Wir müssen die illegale Asylmigration stoppen», sagt Chiesa. «Es kann nicht sein, dass diese Leute aus halb Afrika und Asien in die Schweiz kommen, um hier auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung zu leben.»
Das «Asylchaos» und die «masslose Zuwanderung» führten dazu, dass der Wohnraum immer knapper und teurer werde. «Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass künftig weniger Leute ins Land kommen.» Noch dieses Jahr will die SVP eine neue Zuwanderungs-Initiative lancieren.
«Kurzsichtige und bornierte Scheinlösungen sind brandgefährlich»
Auch im Aargau selber wächst der politische Druck, auf die geplante Asylunterkunft in Windisch AG zu verzichten. «Kurzsichtige und bornierte Scheinlösungen sind brandgefährlich», schreibt der Verein Netzwerk Asyl Aargau in einer Stellungnahme. Der Kanton verfüge über keine Strategie, wie er mit den steigenden Asylzahlen umgehen wolle. Der Kanton habe es versäumt, temporäre Kapazitäten einzurichten, die bei Bedarf schnell in Betrieb genommen werden könnten, hielt der eher linke Verein fest. Die Verteilung der Geflüchteten auf die Gemeinden habe sich in der Praxis nicht bewährt.
Es sei «inakzeptabel, dass Menschen in Notlagen gegeneinander ausgespielt werden», findet die kantonale SP. Der Kanton müsse die Hintergründe seines Vorgehens erklären. Die FDP wertet den Streit über die Umnutzung der Liegenschaften als «Alarmzeichen». Es brauche für eine Lösung einen offenen Dialog zwischen Kanton und Gemeinden.
Kanton mache es sich zu einfach
Auch die GLP weist darauf hin, dass es sich der Kanton bei Windisch «zu einfach mache». Es räche sich, dass der Kanton nicht vorausschauend gehandelt habe. Die kantonale SVP forderte, dass «der genaue Sachverhalt geklärt und analysiert wird». Sie sieht in der Situation ein Beispiel dafür, dass «das Asylwesen komplett aus dem Ruder gelaufen ist» – und das, obwohl ihr eigener Regierungsrat Gallati im Aargau für die Asylpolitik zuständig ist.
Gleich drei Aargauer Jungparteien sind ebenfalls auf das Thema aufgesprungen. Die Jungfreisinnigen schrieben von «Staatsversagen» und von einem «Missbrauch staatlicher Gewalt». Die Jungsozialisten schrieben, es dürfe «keine Asylpolitik auf Kosten der finanziell Schwachen» geben. Die Junge SVP lancierte eine Online-Petition. Der Regierungsrat solle die Pläne für Unterkunft stoppen. Die Petition zählte am Dienstagmittag rund 3000 Unterstützer.
Kanton will erst später informieren
Das kantonale Departement Gesundheit und Soziales von SVP-Regierungsrat Gallati wollte sich vorerst nicht genauer zum Fall äussern. Es handle um eine reguläre Anmietung zweier Altliegenschaften, deren Sanierung in nächster Zeit bevorstehe und nicht um eine Beschlagnahmung, teilte es am Montagabend auf Anfrage mit.
Der Kantonale Sozialdienst (KSD) habe am Mittwoch einen Brief des Gemeinderats Windisch erhalten. Der KSD werde den Brief in den nächsten Tagen beantworten. Die bestehenden Differenzen wolle der KSD «nicht über die Medien austragen». Nach der Zustellung des Briefs an den Gemeinderat Windisch werde der KSD auch die Öffentlichkeit über dessen Inhalt orientieren.