Jetzt stehen sie wieder an, die 1.-August-Reden. Auf dem Rütli und in vielen Gemeinden werden Frauen und Männer von der Schweiz sprechen, von unseren Werten und unserer Geschichte. Sie werden an der Erzählung spinnen, die sich die Eidgenossenschaft gegeben hat, und die uns alle als Schweizerinnen und Schweizer zusammenhält, uns eine Identität, ein Gesicht gibt.
Eine Studie im Auftrag von Pro Futuris, einer Denkwerkstatt der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, hat nun erstmals erhoben, welche Gesichter der Schweiz die politischen Akteure – Bundesrat, Parteien und Verbände – denn überhaupt benutzen und wie. Dazu hat ein Team der Universität Zürich 14'000 Reden, Medienmitteilungen, Parteiprogramme, Parlamentsdebatten und weitere Dokumente seit 1980 ausgewertet.
Nur kurz obsiegte die humanitäre Tradition
Dabei zeigt sich, dass eine Erzählung – die Wissenschaft nennt sie Narrativ – oben aus schwingt: Es ist jene der «freiheitsliebenden, wehrhaften Schweiz». Nur für eine kurze Dauer zwischen 1995 und 2004 – es war die Zeit des Kosovo-Krieges – schilderten die Politiker die Schweiz vor allem als Hort von Humanität und Solidarität. Heute liegt diese Schweiz nur noch auf Platz 4.
In ihrer Bedeutung zugenommen hat die Schweiz als Willensnation (Platz 3) und als Land wirtschaftlichen Wohlstands (Platz 2). Das politische Erfolgsmodell der direkten Demokratie (Platz 5) hingegen wurde weniger wichtig. Und die Erzählung von den Schweizern als Alpenvolk wirkte nie besonders anziehend für die Politik (Platz 6).
SVP setzt auf National-Erzählungen
Die Untersuchung zeigt noch etwas anderes: nämlich, dass in den vergangenen 40 Jahren vor allem eine Partei das Mittel einer nationalen Erzählung konsequent nutzt: die SVP. Und zwar, wenig erstaunlich, jene der freiheitsliebenden, wehrhaften Schweiz. Die Dominanz dieses Narrativs dürfte zu einem grossen Teil auf die SVP zurückzuführen sein.
In den 1990er-Jahren hat Christoph Blocher (82) dort das Zepter übernommen und aus der konservativ-behäbigen Bauernpartei BGB die provokante und prononcierte Rechtspartei SVP gemacht. Seither steigt die Verwendung der Erzählung der Eidgenossenschaft als Hort der Freiheit und wehrhaften Einheit markant an und dominiert die Erzählungen der Schweiz mit immer grösser werdendem Abstand zu den anderen Varianten.
Ein Bild von der Abschotter-Schweiz
Betrachtet man, welche Begriffe die SVP in diesem Zusammenhang verwendet, erkennt man noch etwas anderes: wie wichtig Störer oder gar Feinde in diesem Bild sind. Es sind die Begriffe Eigenständigkeit, Einwanderer, kriminelle Ausländer, fremde Richter, Gutmenschen. Die SVP erzählt das Land als Abschottungs-Schweiz, die sich gegen innere und äussere Gegner verteidigen muss.
Albert Rösti (55) ist ein Geschichtenerzähler. In seinem kurzen Grusswort zum 1. August in der Blick-TV-Sendung «Achtung, Reto, los» benutzt der Bundesrat gleich drei Schweiz-Narrative: Er lobt die direkte Demokratie, ruft dazu auf, die «Werte der freien Schweiz» zu bewahren und erinnert an den Wohlstand, den unsere Vorfahren geschaffen haben.
Das zeigt: Bundesräte bedienen sich gern solcher identitätsstiftenden Erzählungen. Beispielsweise Doris Leuthard (60): In ihren vier Reden, die sie als Bundespräsidentin zum 1. August und zu Neujahr hielt, benutzte sie gemäss der Studie der Universität Zürich 14-mal eines der sechs von den Wissenschaftlern ausgewählten Narrative. Die Meisterin darin war aber die ehemalige SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (78): Sie griff in ihren vier Reden 15-mal zu diesem Stilmittel.
Ueli Maurer ist auf Linie
Das mit Abstand am meisten von den Bundesräten benutzte Bild der Schweiz ist das der Humanität und Solidarität, gefolgt von der Willensnation und dem politischen Erfolgsmodell.
Aber auch in den Reden der Landesregierung feiert die freiheitliche, wehrhafte Schweiz ein Comeback: Seit 2010 benutzen sie dieses Narrativ dreimal so häufig wie im Jahrzehnt zuvor. Und wenn früher der Schwerpunkt auf der persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit lag, so geht es heute vor allem um den Schutz der Unabhängigkeit der Schweiz. Daran ist insbesondere der ehemalige SVP-Bundesrat Ueli Maurer (72) schuld: «Sämtliche seiner Reden offenbaren dasselbe Muster der nach aussen wachsamen Schweiz», schreiben die Studienautoren.
Albert Rösti (55) ist ein Geschichtenerzähler. In seinem kurzen Grusswort zum 1. August in der Blick-TV-Sendung «Achtung, Reto, los» benutzt der Bundesrat gleich drei Schweiz-Narrative: Er lobt die direkte Demokratie, ruft dazu auf, die «Werte der freien Schweiz» zu bewahren und erinnert an den Wohlstand, den unsere Vorfahren geschaffen haben.
Das zeigt: Bundesräte bedienen sich gern solcher identitätsstiftenden Erzählungen. Beispielsweise Doris Leuthard (60): In ihren vier Reden, die sie als Bundespräsidentin zum 1. August und zu Neujahr hielt, benutzte sie gemäss der Studie der Universität Zürich 14-mal eines der sechs von den Wissenschaftlern ausgewählten Narrative. Die Meisterin darin war aber die ehemalige SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (78): Sie griff in ihren vier Reden 15-mal zu diesem Stilmittel.
Ueli Maurer ist auf Linie
Das mit Abstand am meisten von den Bundesräten benutzte Bild der Schweiz ist das der Humanität und Solidarität, gefolgt von der Willensnation und dem politischen Erfolgsmodell.
Aber auch in den Reden der Landesregierung feiert die freiheitliche, wehrhafte Schweiz ein Comeback: Seit 2010 benutzen sie dieses Narrativ dreimal so häufig wie im Jahrzehnt zuvor. Und wenn früher der Schwerpunkt auf der persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit lag, so geht es heute vor allem um den Schutz der Unabhängigkeit der Schweiz. Daran ist insbesondere der ehemalige SVP-Bundesrat Ueli Maurer (72) schuld: «Sämtliche seiner Reden offenbaren dasselbe Muster der nach aussen wachsamen Schweiz», schreiben die Studienautoren.
Das ist zum Teil auf die Initiativen und politischen Abwehrkämpfe der Partei zurückzuführen – von der Ausschaffungs-Initiative über die Masseneinwanderungs-Initiative bis hin zum Kampf gegen die EU. Denn natürlich behandeln viele der untersuchten Dokumente diese Themen.
Die anderen Parteien ziehen nach
Doch die Studie könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass just jene Initiativen, die nach 2006 lanciert wurden, kommunikativ sorgsam vorbereitet waren. Denn das Bild der freiheitlichen, wehrhaften Schweiz bemüht die SVP seit 1990 und damit sehr viel länger.
Die Studie untersucht nicht explizit, ob diese von der SVP geprägte Schweiz-Erzählung auf fruchtbaren Boden fällt. Aber es gibt Hinweise darauf. Beispielsweise diesen: Seit 2010 ziehen die anderen Parteien nach – von SP bis FDP erzählen auch sie zunehmend die Geschichte von der freiheitlichen und wehrhaften Abschottungs-Schweiz. Auch hier könnte zum Teil das politische Tagesgeschäft verantwortlich sein. Oder aber die Einsicht, dass man diese Meistererzählung nicht der SVP überlassen will.