Ein sexueller Übergriff gilt heute als Vergewaltigung, wenn ein Täter eine Frau zum Geschlechtsverkehr «nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht».
Mit diesem sogenannten Nötigungsprinzip definiert das geltende Schweizer Sexualstrafrecht eine Vergewaltigung. Das will das Parlament nun ändern. Künftig soll anstelle der Nötigung die Zustimmung zur sexuellen Handlung in den Fokus rücken.
Damit war es dann aber mit der Einigkeit im Rat vorbei. Die mehrstündige Debatte im Nationalrat am Montagabend dreht sich vor allem darum, wie diese Zustimmung erfolgen soll.
Neue Regel sei ein «Quantensprung»
Das bürgerliche Lager war grossmehrheitlich der Ansicht, dass eine Vergewaltigung nur dann vorliegt, wenn eine Person verbal Nein sagt oder dies unmissverständlich ausdrückt. Die Regel wird als «Nein heisst Nein» bezeichnet.
Die Linke und die GLP war dafür, dass der Tatbestand einer Vergewaltigung auch dann gegeben ist, wenn eine Person kein Nein, aber auch kein deutliches Ja äussert. Die Regel gilt als «Nur Ja heisst Ja».
Die «Nein ist Nein»-Lösung zementiert den Grundsatz, dass die Frau grundsätzlich für Sex zu haben sei, solange sie sich nicht wehrt», sagte GLP-Nationalrätin Judith Bellaiche (51). Diese sogenannte Zustimmungsvermutung sei überholt und habe nichts mit sexueller Selbstbestimmung zu tun.
Nicht eine Linie fuhren die Mitglieder der FDP und der Mitte. Egal welches Modell der Nationalrat letztlich wähle, das revidierte Gesetz sei ohnehin ein «Quantensprung», weil die Nötigung als Tatbestandsmerkmal für eine Vergewaltigung wegfalle, sagte Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (44). «Ein Opfer muss sich also nicht mehr wehren, das ist das wirklich Wichtige an dieser Vorlage.»
Mit 99 gegen 88 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) beschloss der Nationalrat, im Sexualstrafrecht auf die «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung einzuführen.
SVP war sich fast einig
Allein in ihrer Partei mit ihrer Meinung war Celine Amaudruz (43). Die SVPlerin kündigte schon vor der Debatte in einem Facebook-Beitrag an, dass die Ja heisst Ja Variante befürworte: «Ich verstehe nicht, warum nur ein Ja ein Ja im Berufsleben, in Vereinen oder in der Gesellschaft ist, aber nicht mehr im Gefühls- und Liebesleben», so Amaudruz.
Die zuständige Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) warnte aber vor zu hohen Erwartungen. So würde die Modernisierung des neuen Sexualstrafrechts nicht das Problem lösen, dass viele Vergewaltigungen gar nicht erst angezeigt würden. Man mache zwar jetzt einen wichtigen Schritt, aber auch die Beweisschwierigkeiten würden damit nicht beseitigt.
Zudem wies Keller-Sutter darauf hin, dass bei der «Nur Ja heisst Ja»-Regel nicht verhindert werden könnte, dass ein potenzielles Opfer aus Angst oder Unsicherheit Ja sage. Sie warb darum im Namen des Bundesrates für die ‹Nein ist Nein›-Lösung.
Bereits im Sommer sprach sich eine Mehrheit des Ständerats für die «Nein heisst Nein» aus. Nun wird sich dieser wieder mit der Vorlage befassen müssen.