Im Oktober beschliesst der Bundesrat, zu welchen Konditionen unsere Altersguthaben in der zweiten Säule nächstes Jahr mindestens verzinst werden müssen. Bereits morgen trifft sich in Bern die Eidgenössische Kommission für berufliche Vorsorge (BVG-Kommission), um über ihren Vorschlag zuhanden der Regierung zu streiten. SonntagsBlick weiss: Die Forderungen der verschiedenen Interessenvertreterinnen gehen sehr weit auseinander.
Während die Gewerkschaften auf zwei Prozent oder mehr pochen, möchten die Versicherer und Arbeitgeber den Mindestzins auf unter ein Prozent drücken.
Es geht um viel. Die Verzinsung der Beiträge im Verlauf eines Erwerbslebens entscheidet zusammen mit dem Umwandlungssatz langfristig über die Frage, wie hoch die monatliche Rente aus der Pensionskasse dereinst sein wird: Wer mehr gespart hat, erhält mehr. Seit 2017 beträgt der Mindestzinssatz für das obligatorische Guthaben in der zweiten Säule ein Prozent. Bis 2002 waren es noch vier Prozent. Im letzten Jahrzehnt betrug die durchschnittliche Verzinsung der gesamten Guthaben 2,34 Prozent. Rechnet man die Teuerung mit ein, wird klar: In den letzten drei Jahren haben die Guthaben real an Wert verloren.
Geht es nach den Gewerkschaften, soll damit Schluss sein. Möglich macht es die Zinswende. Nach schwierigen Jahren, in welchen die Vorsorgeeinrichtungen aufgrund der Negativzinsen grössere Risiken eingehen mussten, um Geld zu verdienen, sieht die Lage nun wesentlich rosiger aus. Viele Banken bieten mittlerweile risikolose Anlagen zu Zinssätzen von bis zu zwei Prozent, ihre Zinsgewinne sprudeln. «In diesem Umfeld den BVG-Mindestzins nicht zu erhöhen, widerspricht jeder ökonomischen Logik», sagt Gabriela Medici vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Noch deutlichere Worte wählt Aldo Ferrari von der Unia. Er sagt: «Der Mindestzins muss rauf, sonst handelt es sich um einen Zins-Klau. Dagegen wehren wir uns vehement.»
In Artikel 15 des BVG-Gesetzes heisst es: «Der Bundesrat legt den Mindestzins fest. Dabei berücksichtigt er die Entwicklung der Rendite marktgängiger Anlagen, insbesondere der Bundesobligationen, sowie zusätzlich der Aktien, Anleihen und Liegenschaften.» Keine Frage: 2022 mussten die Vorsorgeeinrichtungen bluten. Die schlechteste Kasse verlor auf ihren Geldanlagen 16,2 Prozent, die beste «nur» ein Prozent. Dennoch hielt die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge im Mai fest: «Mit dem Zinsanstieg werden die Renditeversprechen in Zukunft mit weniger Risiko finanzierbar sein.» Für Ueli Mettler, Präsident des Pensionskassen-Consultant-Verbandes SWIC, ist somit klar: «Für einen tieferen BVG-Mindestzins gibt es derzeit keine guten ökonomischen Argumente.»
Wenig Hoffnung auf Erhöhung des Mindestzinses
Als Diskussionsgrundlage dient der BVG-Kommission eine komplizierte Formel, die das aktuelle Zinsniveau sowie die vergangene Rendite einer Anlagestrategie mit 25 Prozent Aktien berücksichtigt. Gemäss dieser Formel wäre eine Senkung des Mindestzinssatzes auf rund 0,6 Prozent gerechtfertigt. Die Kommissionsmitglieder berücksichtigen bei ihrem Entscheid aber nicht nur die Mathematik, sondern auch das politische und gesellschaftliche Umfeld – und die zu erwartenden Renditen.
Simon Tellenbach vom VZ Vermögenszentrum macht den Gewerkschaften indes wenig Hoffnung auf eine markante Erhöhung des Mindestzinses. Da sich die Deckungsgrade der Pensionskassen seit Ende 2021 deutlich verschlechtert haben, sei die finanzielle Ausgangslage der Pensionskassen anspruchsvoll, sagt er. «Sie müssen wieder Reserven aufbauen, bis sie voll risikofähig sind.» Gleichzeitig habe sich aber das Zinsumfeld spürbar verändert und für neue Investitionen funktioniere das System der Pensionskasse wieder besser. Dieses basiere darauf, dass der Mindestzinssatz mit einem bedeutenden Anteil an Obligationen erwirtschaftet werden könne. Tellenbach: «Aufgrund dieser Ausgangslage gehen wir davon aus, dass sich der BVG-Mindestzinssatz nahe dem heutigen Niveau halten wird.»
Vor einem Jahr sprach sich der Arbeitgeberverband für einen Mindestzinssatz von 0,25 Prozent aus. Dass die Forderung heuer nur leicht höher sein wird, will Sprecher Stefan Heini gegenüber SonntagsBlick nicht bestätigen. «Aus unserer Sicht ist aber klar, dass grosse Vorsicht geboten ist angesichts der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Abkühlung in der Schweiz und den wichtigen Wirtschaftsräumen – allen voran in den USA – und der damit zusammenhängenden Lage an den Finanzmärkten.»
Auch der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) will sich vor dem Meeting morgen nicht in die Karten schauen lassen. «Für uns ist es zentral, dass die BVG-Kommission eine sachliche Diskussion führen kann», sagt Sprecher Jan Mühlethaler. Das Gesetz schreibe den Vorsorgeeinrichtungen vor, Wertschwankungsreserven zu bilden und notwendige Rückstellungen vorzunehmen. «Vor diesem Hintergrund ist der BVG-Mindestzinssatz aus Sicht des SVV in den letzten Jahren stets zu hoch angesetzt worden.»
Im letzten November beliess der Bundesrat den BVG-Mindestzins bei einem Prozent. In seiner Begründung schrieb er damals: «Aufgrund der insgesamt guten Entwicklung der Finanzmärkte ist eine Senkung des Mindestzinssatzes nicht gerechtfertigt. Die weiterhin tiefen Zinsen und die gedämpften Renditeerwartungen legen gegenwärtig jedoch auch keine Erhöhung des Satzes nahe.»
Die Zinswende hat diese Vorzeichen radikal umgekehrt. Für Gabriela Medici vom Gewerkschaftsbund steht deshalb ausser Frage: «Der Moment für eine Erhöhung des Mindestzinssatzes ist da. Die Pensionskassen profitieren von der Zinswende und geben nichts an die Versicherten weiter. Das muss jetzt aufhören.»