Versteckte Pensionskassen-Gebühren
So funktioniert der Milliarden-Trick

Jedes Jahr kassiert die Finanzindustrie von den Versicherten versteckte Gebühren in Milliardenhöhe. Das System ist einfach – und kein Gesetz verbietet es.
Publiziert: 04.02.2023 um 18:59 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2023 um 08:04 Uhr
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Das Parlament streitet darüber, wie eng die Vorsorgeversicherten den Gürtel schnallen müssen.
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Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

Die zweite Säule wackelt. Doch ihre Sanierung entzweit die Politik. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat bereits das Referendum gegen die Reform der beruflichen Vorsorge angekündigt. Zusätzliche Versichertenbeiträge in Milliardenhöhe bei gleichzeitiger Senkung des Umwandlungssatzes seien nicht akzeptabel, sagte SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard (54) am Mittwoch zu Blick.

Tatsächlich dreht sich die BVG-Debatte stets um die Frage: Wie eng müssen die Versicherten den Gürtel schnallen? Kein Thema ist hingegen die Finanzindustrie, die den 1200 Milliarden Franken schweren Pensionskassentopf verwaltet – und dafür kräftig Gebühren kassiert.

Drei Milliarden pro Jahr gehen für allgemeine Verwaltungskosten, Maklerprovisionen, Beratung und Spesen drauf. Hinzu kommen die Vermögensverwaltungskosten. Ein neuer Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) beziffert sie für das Jahr 2020 auf 5,1 Milliarden.

Mehr, als im Geschäftsbericht steht

Dieses Geld fliesst zur Finanzindustrie – als Entschädigung dafür, dass sie das Vorsorgevermögen in Wertpapiere, Immobilien und andere Anlagen investiert. Das Problem: Es sind noch viel mehr als 5,1 Milliarden pro Jahr. Bloss weiss das kaum ein Versicherter.

Der Grund: Bei jedem Kauf und Verkauf einer Aktie oder eines Hauses kassieren die Finanzdienstleister eine versteckte Gebühr, die in keiner Statistik auftaucht. Wie funktioniert das?

Ein Beispiel. Die Pensionskasse des Kantons Solothurn betreut 19 500 Versicherte. Deren Altersguthaben vertraut sie Finanzunternehmen wie der Aargauischen Kantonalbank und der Credit Suisse an, die das Geld für sie anlegen. Auch der Immobilienfonds Sustainable Real Estate Investments Sicav investiert Geld für die PK Solothurn – knapp 35 Millionen Franken waren es im Jahr 2021.

Offiziell verrechnete der Fonds in diesem Jahr 330 000 Franken für die Verwaltung der Gelder. Diese Kosten weist der Fonds aus. Die PK Solothurn macht sie in ihrem Geschäftsbericht transparent.

Wie hoch sind die verdeckten Kosten?

Doch da gibt es noch mehr. Im Anlagereglement des Fonds steht: «Für ihre Bemühungen beim Kauf und Verkauf von Grundstücken belastet die Sicav ab dem Geschäftsjahr 2021/22 dem Teilvermögen eine Entschädigung von maximal 2,5 Prozent des Kauf- bzw. des Verkaufspreises.» Bloss: Die konkreten Kosten sind weder im Geschäftsbericht noch in der Betriebsrechnung des Fonds aufgeführt. Auch bei der PK Solothurn sind sie nicht ausgewiesen, wie Geschäftsführer Emmanuel Ullmann gegenüber SonntagsBlick bestätigt.

Im Jahr 2021 hat die 2,5-Prozent-Regel des Fonds die Versicherten der PK Solothurn rund 160 000 Franken gekostet. Doch das bleibt ihnen verborgen. Denn die Kosten verschwinden in den Häuserpreisen: Kauft der Fonds zum Beispiel ein Haus für vier Millionen Franken und verrechnet dafür eine Gebühr von 2,5 Prozent, kostet der Kauf die Versicherten 4,1 Millionen. Dass 100 000 Franken davon Gebühren sind, sehen sie nicht.

0,5 Prozent des Vermögens der PK Solothurn stecken im Sicav-Fonds. Aber auch die anderen Anbieter arbeiten mit Prozent-Regeln. Wie hoch sind die gesamten versteckten Kosten? «Wir sind daran, die verschiedenen Geldflüsse zu analysieren», sagt Geschäftsführer Ullmann.

Milliardenbusiness für die PK-Industrie

Neben der PK Solothurn vertrauen diverse andere Vorsorgeeinrichtungen dem Sicav-Fonds ihr Geld an. Im Jahr 2021 hat er damit Häuser im Wert von 63 Millionen Franken erworben, wie er gegenüber SonntagsBlick bestätigt. Dafür flossen Entschädigungen in der Höhe von 1,5 Millionen Franken – Gebühren, die in keinem Geschäftsbericht auftauchen. Sie finden auch keinen Eingang in die offiziellen Pensionskassen-Statistiken.

Die Sicav ist kein Einzelfall. Andere machen es genauso: Die Anlagestiftung Credit Suisse CSA Real Estate Switzerland Residential verlangt eine Gebühr von bis zu 1,5 Prozent für den Kauf und Verkauf von Immobilien.

In der Schweiz gibt es 1400 Vorsorgeeinrichtungen, die ihr Geld von der Finanzindustrie verwalten lassen. Die PK Solothurn ist eine öffentlich-rechtliche Pensionskasse. Wenn bei einer solchen Kasse hohe versteckte Kosten generiert werden – wie steht es dann um die grossen Sammelstiftungen unter der Kontrolle von Banken und Versicherungen?

Klar ist nur: Es geht um Milliarden. Die versteckten Transaktionskosten liegen zwischen einem und drei Prozent. Wendet man ein Prozent auf das gesamte Vorsorgevermögen an, sind das zwölf Milliarden Franken pro Jahr. «Tatsächlich dürfte es viel mehr sein», sagt ein Kadermitglied einer Schweizer Grossbank dazu.

4500 Franken Verwaltungskosten pro Person

Fügt man diesen Betrag den offengelegten Vermögensverwaltungskosten hinzu, sind es 17 Milliarden. Zusammen mit den übrigen Verwaltungskosten ergibt das 20 Milliarden pro Jahr – nicht sieben Milliarden, wie es offiziell heisst. Und damit auch nicht jährlich 1500, sondern 4500 Franken pro Versicherten.

«Schon die offengelegten Kosten sind zu hoch», sagt SP-Nationalrätin Barbara Gysi (58). «Dass aber zusätzlich Milliarden an versteckten Gebühren fliessen, ist unverschämt. Die Versicherten haben keine Chance, sich dagegen zu wehren.»

Hanspeter Konrad (64), Direktor des Pensionskassenverbands Asip, widerspricht: Die Pensionskassen würden transparent informieren. «Dass die Kosten immer noch zu hoch sein sollen, ist reines Empfinden der Systemkritiker und widerspricht einer nüchternen Betrachtung der Fakten.» Konrad betont: «Wer bei Pensionskassen nur auf die Kosten achtet, erweist den Versicherten einen Bärendienst!»

Die versteckten Gebühren sind legal. Es gibt in der Schweiz kein Gesetz, das die Finanzindustrie zur Offenlegung verpflichtet.
Ironie der Geschichte: Die PK Solothurn würde eine solche Verpflichtung begrüssen. Auf die entsprechende Frage antwortet Geschäftsführer Ullmann kurz und bündig: «Ja.»

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