Strassburg-Richter Andreas Zünd über Kürzung der Witwenrente
«Rolle der Frau ist eine andere als noch vor 40 Jahren»

Witwen und Witwer sollen künftig bis zum 25. Altersjahr des jüngsten Kindes eine Rente erhalten – unabhängig vom Geschlecht oder Zivilstand. «Diese Anpassung war zu erwarten», sagt EGMR-Richter Andreas Zünd.
Publiziert: 27.10.2024 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2024 um 10:11 Uhr
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Die Schweiz diskriminiert Witwer – und wurde deshalb vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.
Foto: imago images / viennaslide

Auf einen Blick

  • EGMR rügt Schweiz wegen Diskriminierung von Witwern
  • Schweiz passt Gesetzgebung für Witwen und Witwer an
  • EMGR-Richter Andreas Zünd nicht überrascht von der Anpassung
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Cécile ReyRedaktorin

Der Bundesrat will die Witwenrenten kürzen. Witwen und Witwer sollen in Zukunft eine Rente erhalten, bis das jüngste Kind 25 Jahre alt ist – unabhängig vom Geschlecht oder dem Zivilstand. Bisher haben Frauen lebenslang eine Rente bekommen. Mit der geplanten Gesetzesreform reagiert der Bund auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), das vor zwei Jahren festgestellt hat, dass die Schweiz Witwen und Witwer unterschiedlich behandelt und damit gegen das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstösst.

Jetzt schaltet sich der Schweizer EGMR-Richter Andreas Zünd in die Debatte ein. Der 67-Jährige vertritt die Schweiz seit 2021 in Strassburg und entschied damals zusammen mit elf anderen Richtern der Grossen Kammer gegen die Schweiz.

«Die Rolle der Frau ist eine andere als noch vor 40 Jahren»

Für Zünd kommt die Anpassung nicht überraschend. «Die Rolle der Frau hat sich gesellschaftlich entwickelt und ist mittlerweile eine andere als noch vor 40 Jahren», sagt er. Das sehe auch der Bundesrat so und mache Schluss mit der bisherigen Praxis.

Hinter dem bisherigen Hinterlassenensystem steckt die Annahme, dass der Mann für den Unterhalt einer Familie aufkommt. Fällt bei einem Todesfall des Ehegatten das Familieneinkommen weg, so sichert der Staat mit der Witwenrente die wirtschaftliche Existenz der Hinterbliebenen.

Der EGMR gibt den Staaten nicht vor, wie ein Urteil umgesetzt werden muss. Er stellt nur fest, dass ein Vertragsstaat – in diesem Fall die Schweiz – ein Recht, das Schweizerinnen und Schweizer durch die EMRK zugesichert wird, verletzt hat. Um die Ungleichheiten zu beseitigen, standen der Schweiz verschiedene Lösungen zur Verfügung. Etwa die Altersgrenze für die Witwerrente abschaffen oder die Witwenrente streichen, sobald die Kinder volljährig sind. «Eine Zwischenlösung könnte darin bestehen, die Rente bis zum Abschluss des Studiums der Kinder weiterzuzahlen», schrieb Zünd schon im Sondervotum zum Urteil. In diese Richtung ziele der Bundesrat nun mit seiner Vorlage, die er ins Parlament schickt.

Zünd: «Der Vorschlag des Bundesrats ist zwar eine Angleichung der Geschlechter nach unten, aber es ist eine Angleichung.» Die Schweiz leiste dem Urteil somit Folge. So sei das System mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar.

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