Staatsbetrieb öffnet sich für behinderte Menschen
«Beeinträchtigte gehören zur Schweiz – und zur Post»

Die Post schafft Arbeitsplätze für Behinderte. Dem Projekt ging ein monatelanges Ringen voraus. Dies, damit die beeinträchtigten Menschen keine Pöstler verdrängen.
Publiziert: 15.07.2023 um 01:17 Uhr
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Aktualisiert: 18.07.2023 um 14:02 Uhr
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Menschen mit Behinderung, wie diese Frau, konnten bereits Erfahrungen in der Post-Filiale Murten sammeln.
Foto: post-medien
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Pascal TischhauserStv. Politikchef

«Die Post bietet Menschen mit Beeinträchtigung eine Chance am allgemeinen Arbeitsmarkt», lobt sich der gelbe Riese selbst. Tatsächlich bietet der Staatsbetrieb neu mehrere Stellen für Menschen mit einer Behinderung an.

Beeinträchtigte Menschen erhalten dadurch die Möglichkeit, teilzuhaben am ersten Arbeitsmarkt. Für bis zu 50 von ihnen wird individuell nach einer Lösung gesucht, wie sie in einem kleinen Teilpensum bei der Post Erfahrungen sammeln können.

Bis zu 800 Plätze

Ursprünglich sollten es weit mehr Behinderte sein. Wie es aus Post-Kreisen heisst, wollte man die Anzahl der Plätze für beeinträchtigte Menschen offen lassen. Und weil die Post derzeit noch fast 800 Filialen führt, wurde anfangs gar mit ebenso vielen Plätzen gerechnet. Grundsätzlich sollte es in jeder Poststelle möglich sein, dass dort eine behinderte Person arbeiten kann. Löblich!

Aber nicht aus Sicht eines langjährigen Postangestellten, der vielleicht aufgrund eines Unfalls oder eines psychischen Problems nicht mehr gleich leistungsfähig ist. «Die Gefahr bestand, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung leistungsverminderte Post-Mitarbeitende unter Druck bringen», sagt David Roth (38) von der Gewerkschaft Syndicom.

Langjährige Pöstler zittern

Ein monatelanges Ringen ums Projekt setzte ein. Die Gewerkschaft befürchtete, dass gerade ältere Pöstler von Behinderten verdrängt werden. «Auch, weil die behinderten Menschen für die Post günstiger sind als leistungsverminderte Angestellte», so Roth.

Schliesslich sind die beeinträchtigten Menschen weiterhin bei Institutionen des zweiten Arbeitsmarkts angestellt. Also beispielsweise in Behindertenwerkstätten. Es werden somit IV-Bezüger an die Post «ausgeliehen». Dafür bezahlt die Post den Behinderteninstitutionen eine Abgeltung. Diese fällt jedoch kaum so hoch aus wie der Lohn eines festangestellten Pöstlers.

GAV-Sonderlösung

Im Optimalfall sollen den Behinderten nicht bloss für ein Jahr bei der Post arbeiten können, sondern solange es für alle Beteiligten stimmt. Das verstösst jedoch gegen den Gesamtarbeitsvertrag der Post. Dort sind Leiharbeitsverhältnisse für maximal zwölf Monate möglich.

Fürs Inklusionsprojekt hat sich die Post aber mit den Sozialpartnern auf eine Ausnahme geeinigt. Im Gegenzug haben die Gewerkschaften dem Staatsbetrieb abgerungen, dass die Post ein Projekt zur verbesserten Wiederintegration verunfallter oder erkrankter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausarbeiten muss. So soll verhindert werden, dass langjährige Pöstler auf der Strecke bleiben.

«Herzensangelegenheit» der Post

Laut dem Post-Konzern unter der Leitung von Roberto Cirillo (52) bestand diese Gefahr aber nie. Das Unternehmen bezeichnet das Inklusionsprojekt gar als «Herzensangelegenheit». «Menschen mit Beeinträchtigungen gehören zur Schweiz und damit auch zur Post», führt Sprecher Stefan Dauner aus.

Man spare dadurch auch keine Kosten. «Im Gegenteil! Wir investieren viel für dieses Inklusionsprojekt.» Als einer der grössten Arbeitgeber der Schweiz nehme die Post ihre Verantwortung auch im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit wahr.

Dem offiziellen Start des Inklusionsprojekts waren mehrere Testläufe vorausgegangen, beispielsweise in der Filiale Murten FR. Schliesslich dürfte die Mehrarbeit, die gerade zum Start eines solchen Projekts notwendig ist, für ein kleines Team einer Postfiliale herausfordernd sein. Dennoch war das Fazit nach den Pilotversuchen positiv.

Projekt könnte wachsen

Nun läuft das definitive Projekt mit den maximal 50 Plätzen für Behinderte erst einmal bis Ende 2024. Und beeinträchtige Personen, die dann bereits ein Teilpensum in einer Poststelle bekleiden, werden so oder so weiterbeschäftigt – egal, ob das Projekt danach begraben oder allenfalls sogar mit einer höheren Zahl an Behindertenplätzen weitergeführt wird.

Bewährt sich das Inklusionsprojekt und sollte sich zeigen, dass dadurch tatsächlich keine festangestellten Beschäftigten verdrängt werden, werden die Gewerkschaften Hand dazu bieten, es weiterzuführen.

Das hätte Vorbildcharakter – auch für Privatunternehmen. Und der gelbe Riese profitierte von einem Image-Gewinn, auf den Firmen bei solchen Projekten ja stets auch hoffen. Die Post hat es in der Hand.

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