Möglichst ohne Nebengeräusche wollte Aussenminister Ignazio Cassis (62) das EU-Geschäft durch den Bundesrat bringen. So wurde es zur Geheimsache erklärt. Nur ganz wenige Personen neben den Bundesräten sind involviert. Es soll möglichst nichts nach aussen dringen.
Um dennoch für Ruhe zu sorgen, erhielten die Parteispitzen die Pressemitteilung zum EU-Entscheid des Bundesrats früh vom EDA zugemailt. So wussten sie: Im Westen nichts Neues.
Oder nichts anderes als erwartet: Der Bundesrat lässt ein Mandat für die Verhandlungen mit der Europäischen Union ausarbeiten. Damit akzeptiert er im grossen Ganzen, was man bei den Sondierungsgesprächen mit Brüssel vorberaten hat. Und er macht klar, dass er die Sondierungen für abgeschlossen hält. «Einige Themen müssen jedoch noch vertieft werden», heisst es noch.
Parmelin und Baume-Schneider sollen Cassis in die Parade gefahren sein
Sowohl die Arbeitgeber wie die Arbeitnehmer stören sich daran, dass für Angestellte von EU-Betrieben, die in der Schweiz Aufträge ausführen, die Spesenregeln des Herkunftslandes, also beispielsweise von Bulgarien, gelten sollen. Mit in Sofia üblichen Spesenansätzen für den Zmittag dürfte es für schwierig werden, am Zürcher Sternengrill eine Bratwurst zu kaufen.
Auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin (63) soll im Bundesrat klargemacht haben, dass die Schweiz das nicht schluckt. Weitere Bundesräte seien mit diesem und weiteren Punkten nicht glücklich gewesen, heisst es. Wenn Linke berichten, die SP-Bundesräte hätten den ungenügenden Lohnschutz gerügt, klingt das zwar plausibel, kann aber Wunschdenken sein. Jedenfalls sollen Parmelin wie auch Elisabeth Baume-Schneider (59) Cassis per Mitbericht in die Parade gefahren sein.
Die kritischen Stimmen von SVP und SP machen bislang eine erfolgreiche Volksabstimmung zur geplanten EU-Lösung unwahrscheinlich. So wie der Bundesratsentscheid kommuniziert wurde, deutet nun vieles darauf hin, dass noch nicht alles in trockenen Tüchern ist.
Es bleiben Fragezeichen
So will der Bundesrat – wohl anders als von Cassis erhofft – das Sondierungsergebnis nicht einfach tel quel in eine Lösung giessen, sondern gewisse Punkte tatsächlich verhandeln.
Es bleiben viele Fragezeichen. Der Bundesrat möchte neue Abkommen in Bereichen wie Lebensmittelsicherheit, Gesundheit und – vor allem – beim Strom ermöglichen. Nur: Die EU verlangt beim Strom als Voraussetzung die Liberalisierung unseres Strommarktes. Linke sehen dies als Angriff auf unseren Service public.
Andererseits hat sich der Bundesrat laut Blick-Informationen auch über ein Aussprachepapier gebeugt. Darin wurde analysiert, wie sich strengere EU-Regeln für staatliche Beihilfen im öffentlichen Verkehr auswirken – vor allem bei den SBB. Das Papier gab Entwarnung: Solange die Bahn nur Inlandverkehr betreibt, ist die staatliche Unterstützung für die SBB problemlos.
Geplant ist, bis Ende Jahr einen Entwurf für ein Verhandlungsmandat mit der EU vorzulegen und dies dem Parlament und den Kantonen darauf zur Konsultation vorzulegen. Erst wenn das Mandat steht, können die eigentlichen Verhandlungen im Frühling 2024 starten.