SonntagsBlick: Herr Nordmann, lässt sich die Energiekrise noch abwenden?
Roger Nordmann: Wir sind beim Gas schon mittendrin. Auch beim Strom sieht es nicht gut aus. Der Krieg in der Ukraine führt zu akutem Gasmangel. Die Hälfte der Atomkraftwerke in Frankreich steht still. Und die Trockenheit setzt der Wasserkraft zu. Diese Kombination einschneidender Faktoren führt dazu, dass der Schweiz im kommenden Winter rund 15 Prozent Gas und bis zu 10 Prozent Strom fehlen.
Was kann die Schweiz jetzt noch tun?
Es ist richtig, dass der Bund nun auch Dieselgeneratoren mobilisiert, auch wenn das weder eine dauerhafte noch eine saubere Lösung ist. Es rächt sich bitter, dass wir zu langsam in den erneuerbaren Strom investieren. Konkret für diesen Winter müssen wir nun auch ernsthaft und grossflächig mit Sparen anfangen.
Roger Nordmann (49) ist Waadtländer Nationalrat und Chef der SP-Fraktion im Bundeshaus. 2017 erschien sein Buch «Sonne für den Klimaschutz. Ein Solarplan für die Schweiz».
Roger Nordmann (49) ist Waadtländer Nationalrat und Chef der SP-Fraktion im Bundeshaus. 2017 erschien sein Buch «Sonne für den Klimaschutz. Ein Solarplan für die Schweiz».
Freiwillig oder auf Befehl?
Wir müssen die Nachfrage drosseln. In vielen Fällen wissen die Konsumenten aber gar nicht, wie sie sparen können. Das fängt schon beim Einstellen der Heizung an. Deshalb ist Aufklärung und Unterstützung zentral. Corona hat gezeigt, dass die Schweizer sich sehr verantwortungsvoll und solidarisch zu verhalten wissen. Aber dazu benötigen sie klare Vorgaben.
Energieministerin Sommaruga lässt sich allerdings Zeit mit dem grossen Sparappell!
Bundesrätin Sommaruga hat eben erst im SonntagsBlick appelliert. Nur reicht das nicht. Der Bundesrat muss vor allem auch planen und organisieren. Und gemäss dem Gesetz über die Landesversorgung ist das die Aufgabe von Wirtschaftsminister Guy Parmelin.
Parmelins Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung muss im Fall einer unmittelbar drohenden oder bereits bestehenden schweren Mangellage übernehmen. Bis jetzt hat der Bundesrat diesen Fall noch nicht ausgerufen.
Das ist zwar so, aber die Mangellage steht unmittelbar bevor. Im Gegensatz zur Pandemie können wir diese auch absehen und darauf reagieren. Wir dürfen nicht warten, bis es zu spät ist. Doch das Departement Parmelin hat noch nichts geliefert. Damit riskiert er gesellschaftliche und wirtschaftliche Schäden, die zu verhindern wären. Parmelin muss endlich seinen Job machen.
Was heisst das konkret?
Bis spätestens Ende August muss er in einer Verordnung konkrete Massnahmen definieren. Dazu gehört etwa das Verbot von Leuchtreklamen oder Vorschriften beim Heizen. Der Bundesrat muss klar festlegen, wer wofür zuständig ist. Wer soll zum Beispiel dafür sorgen, dass ein Grad weniger geheizt wird? Sind das die Mieter, die Hauswarte oder die Immobilienfirmen? Inwiefern stehen die Gas- und Stromversorger in der Pflicht? Es braucht jetzt klare Vorgaben in verschiedenen Bereichen.
Das verlangt auch die Wirtschaft. Der Gewerbeverband kritisiert, der Bundesrat agiere planlos. Die Unternehmen befürchten massive Schäden.
Umso wichtiger, dass Guy Parmelin umgehend aktiv wird und den Firmen konkrete Pläne vorlegt. Denkbar wäre etwa eine Ausschreibung. Das heisst: Unternehmen, die temporär den Strom abschalten, erhalten im Gegenzug eine Entschädigung vom Bund. Das schafft Sicherheit. Die Unternehmen müssen wissen, was auf sie zukommt. Das gilt auch für den Fall, dass verpflichtende Abschaltungen nötig sein sollten.
Eric Scheidegger, Chefökonom des Staatssekretariats für Wirtschaft, sieht das anders. Die Unternehmen hätten genügend Vorbereitungszeit und müssten die Krise einkalkulieren. Der Bund werde ihnen deshalb nicht wie in der Pandemie unter die Arme greifen.
Ein Schreibtisch-Ökonom mit einem gesicherten staatlichen Lohn kann so etwas schon sagen. Aber für viele Firmen und ihre Angestellten im Land ist die Energiekrise eine massive Bedrohung. Der Bund muss deshalb die Frage der Entschädigungen klären und mit intelligenter Planung Notabschaltungen verhindern. Er darf die Firmen nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Solch wirtschaftlicher Darwinismus ist jetzt völlig fehl am Platz.
Womöglich ist Eric Scheidegger zu nonchalant. Vielleicht sind Sie aber auch zu alarmistisch ...?
Die Gefahr eines Energie-Kollapses ist real. Wenn es im Winter zu Notfallabschaltungen kommt, hat das massive Schäden für die Gesellschaft und die Wirtschaft zur Folge. Deshalb muss auch die Schweiz jetzt handeln, allen voran Wirtschaftsminister Parmelin. Und wenn am Ende kein Problem auftaucht, umso besser!
Aber es ist ja nicht so, dass der Bundesrat nichts tut. Es gibt laufend Gespräche auf verschiedenen Ebenen.
Es reicht nicht, Gespräche zu führen und Arbeitsgruppen zu bilden. Dafür ist es zu spät. Jetzt muss geliefert werden. Es geht darum, konkrete Massnahmen zu definieren und nötigenfalls auch schon in Kraft zu setzen. Das war vor der Pandemie nicht möglich, es ging schlicht zu schnell. Nun aber sieht es anders aus. Der Bundesrat darf diesen Zug nicht verpassen.