Es ist die grösste Rückholaktion der Schweizer Geschichte: Über 7000 Personen holt das Aussendepartement (EDA) auf dem Höhepunkt der Corona-Krise im Frühling zurück. Mit insgesamt 35 Repatriierungsflügen. Ende April vermeldet das EDA den erfolgreichen Abschluss der Aktion. Zur Freude von FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (59).
Doch ganz zu Ende ist die Sache damit noch nicht: Im Stillen holte der Bund noch weitere 1000 Personen zurück – unter anderem mit Ausschaffungsflügen.
Und das kommt so: Ende April sind noch immer Hunderte Schweizer im Ausland gestrandet – namentlich in Argentinien, Peru, Marokko, Algerien, Tunesien, Pakistan, Indien, Südafrika oder auf den Kapverden. Weil Flugverbindungen fehlen, weil sie in abgelegenen Regionen stecken oder weil sie von Ausgangssperren betroffen sind. «Es wird Erdwinkel geben, die nicht zu erreichen sind», ist sich das Aussendepartement schon Ende März bewusst.
EDA startet Aktion «Winterschlaf»
Nach Abschluss der Rückholaktion startet das EDA deshalb eine neue Phase: Mit dem Fokus auf konsularischen Schutz der Gestrandeten statt Rückkehr. Im EDA wird von «Hibernation» gesprochen – zu deutsch: Winterschlaf.
Damit beginnt auch eine Phase höchster Vorsicht für Bundesbern. Die Repatriierung ist offiziell abgeschlossen, da will man keine Begehrlichkeiten auf eine Rückholgarantie wecken. Das geht aus den Corona-Protokollen hervor, in die BLICK gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz Einsicht nehmen konnte.
Krisenmanager fürchtete Imageschaden
So wird auch die Sprachregelung geändert: Statt von Repatriierung ist nun von «ausserordentlichen Massnahmen zur Unterstützung von blockierten Schweizer Reisenden» die Rede, wie eine Informationsnotiz von Hans-Peter Lenz, Chef des Krisenmanagement-Zentrums, vom 20. Mai zeigt. Darin lotet er die Optionen aus, wie trotzdem noch Schweizer per Flieger zurückgeholt werden könnten.
Dabei macht er deutlich: «Es ist wichtig, dass diese Sonderoperationen nicht in einem Kontinuum stehen mit der Rückholaktion der Phase II: Der Bund hat öffentlich kommuniziert, dass er diese abgeschlossen hat», so Lenz. «Extern muss das EDA also klar kommunizieren, dass es sich hier um ausserordentliche Massnahmen handelt, die aufgrund der Lageentwicklung nötig sind.»
Die Eigenverantwortung der Reisenden sowie die subsidiäre Unterstützungsrolle des Bundes müsse wieder stärker ins Zentrum rücken, betont er. Man müsse den Leuten klar machen, dass sie nach der Lockerung der weltweiten Reisebeschränkungen «keine Unterstützung zu erwarten» hätten.
Der Krisenmanager befürchtet auch einen Imageschaden für das Aussendepartement und seinen Chef Ignazio Cassis: «Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass sich der Bund getäuscht und die Lage falsch eingeschätzt hat und nun auf seinen Entscheid zurückkommt.»
Lenz definiert deshalb Kriterien, unter welchen Bedingungen Sonderflüge trotzdem durchgeführt werden sollten. Etwa, wenn es keine kommerziellen Transportmittel gibt oder wenn es eine «kritische Masse von betroffenen Rückkehrwilligen» gibt. Zudem sollten die Zurückgeholten ihre Flüge möglichst im Voraus bezahlen – nicht etwa, dass man wie bei der Rückholaktion auf offenen Rechnungen sitzen bleibt.
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Zehn Sonderflüge seit Mai
Das Resultat: Ab Mai werden insgesamt zehn Spezialflüge durchgeführt, der letzte im Juli. Dabei werden etwa Charterflüge mit Swiss und Edelweiss organisiert – nach Argentinien (221 Personen), Marokko (169), der Dominikanischen Republik (216) und zuletzt nach Peru (248).
Das EDA nutzt aber auch ausgefallenere Varianten: Swiss-Frachtflüge nach Armenien (19) oder China (11) nehmen auf dem Heimweg Rückkehrwillige mit. Bei einem Rückflug der Swiss-Crew aus Jordanien, wo mehrere Flieger gegroundet wurden, dürfen 46 Personen mitfliegen.
Auch Ausschaffungsflüge genutzt
Insgesamt dreimal nutzt das Aussendepartement auch Ausschaffungsflüge des Staatssekretariats für Migration (SEM). Abgewiesene Asylsuchende sowie Personen aus dem Ausländerbereich werden dabei ausgeschafft, Schweizer auf dem Rückweg heimgeschafft. Die Flüge gehen nach Albanien und Moldawien (4 Personen) sowie zweimal nach Georgien (12). «Gesamthaft sind damit 15 Schweizer Staatsangehörige und ein ausländischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Schweiz in die Schweiz zurückgekehrt», sagt EDA-Sprecher Pierre-Alain Eltschinger zu den SEM-Flügen. «Es gab keine Probleme.»
Auch das SEM bestätigt die Flüge: Bei den Hinflügen wurden 73 freiwillig ausreisende Personen sowie fünf zwangsweise zurückgeführte Personen mitgeführt. «Diese Flüge wurden in den Monaten Mai und Juni 2020 durchgeführt, in denen die kommerziellen Flugverbindungen eingestellt waren», sagt SEM-Sprecher Reto Kormann.
Er betont: «Die ausländischen, rückzuführenden Personen hatten keinen Kontakt zu jenen Personen, die in die Schweiz zurückgeholt wurden. Somit kann nicht von einer Vermischung gesprochen werden.» Momentan seien seitens des SEM zudem keine konkreten Flüge geplant, mit denen weitere Personen in die Schweiz zurückgeholt werden könnten.
Keine Sonderflüge mehr
Die Bilanz: Insgesamt wird mit den zehn Sonderflügen 946 weiteren Personen zu einer Rückkehr verholfen – darunter knapp 700 Schweizer oder hier lebende Ausländer. An die grosse Glocke hängt das EDA diese Aktionen aber nicht.
Was die Zukunft betrifft, sind «momentan keine Sonderflüge geplant», so Eltschinger. Er verweist auf die Empfehlung des Bundesamts für Gesundheit, weiterhin auf nicht notwendige Auslandreisen zu verzichten.
«Reisende müssen sich darauf einstellen, dass grenzüberschreitende oder nationale Reiserestriktionen je nach epidemischer Entwicklung wieder verschärft und Verkehrsverbindungen stark eingeschränkt werden könnten», so Eltschinger. Und macht klar: «In einem solchen Fall sieht die Schweiz keine neue Rückholaktion mehr vor.»