Franz Immer (55), Direktor der Stiftung Swisstransplant, ist überrascht. Auch er kann sich die Zahlen nicht so recht erklären. 59 Personen haben zwischen April und Juni dieses Jahres nach ihrem Tod eines oder mehrere Organe gespendet. 172 Nieren, Lebern, Herzen und andere Organe waren es insgesamt. Das sind über ein Drittel mehr als in den ersten drei Monaten des Jahres. «So ein Quartal hatten wir meines Wissens noch nie», stellt Immer mit Erstaunen fest.
Zwar muss die Entwicklung mit gewisser Vorsicht interpretiert werden. Es gebe bei den Organspenden relativ starke Schwankungen, sagt der Swisstransplant-Direktor. Doch auch wenn man das berücksichtigt, ist die Entwicklung laut ihm bemerkenswert. «Ich rechne damit, dass wir das Jahr mit einem neuen Höchstwert abschliessen», sagt Immer.
Kürzere Wartezeit für Spenderherz
Derzeit befinden sich rund 1400 Personen auf der Warteliste für eine Organspende. Betrug die mittlere Wartezeit für ein Spenderherz Anfang Jahr noch knapp elf Monate, war sie im zweiten Quartal um die Hälfte kürzer.
Ein Grund für die positive Entwicklung dürfte laut Swisstransplant ein neues Tool sein, das den Ärztinnen und Ärzten in der Intensivstation zur Verfügung steht. Es erlaubt ihnen, schnell und unkompliziert mit der Stiftung abzuklären, ob ein verstorbener Patient für eine Organspende geeignet ist – und wenn ja, welche Organe zur Auswahl stehen. Das Tool stehe nun seit zwei Jahren im Einsatz, sagt Immer. «Es ist ein ganz wichtiges Instrument, um Spezialisten auf der Intensivstation zu unterstützen.» Zudem habe sich gezeigt, dass Angehörige viel häufiger ihre Zustimmung zu einer Organspende geben, wenn eine Rückmeldung von Swisstransplant schon vorliegt und man weiss, welche Organe konkret infrage kämen.
Vergangenes Quartal war eine Katastrophe
Immer hofft darauf, dass die Trendwende anhält. Denn noch vor wenigen Monaten klagte Swisstransplant über einen Einbruch bei den Organspenden. Seit Sommer vergangenen Jahres sei die Entwicklung negativ gewesen, sagt Immer. Das erste Quartal gar eine regelrechte Katastrophe. «Innert dreier Monate starben 29 Menschen auf der Warteliste», erzählt er. Die vielen Todesfälle hätten dazu geführt, dass ein Ruck durch die Ärzteschaft gegangen sei. Das dürfte einen Einfluss gehabt haben.
Mitverantwortlich für den Rückgang sei wohl auch die Abstimmung über das neue Transplantationsgesetz gewesen, glaubt Immer. Im Mai 2022 hat die Stimmbevölkerung einen Paradigmenwechsel beschlossen: Künftig muss man zu Lebzeiten nicht explizit einer Organspende zustimmen. Sondern Nein dazu sagen. «Tendenziöse Berichterstattung» gewisser Medien habe dazu geführt, dass viele Menschen verunsichert gewesen seien, sagt Immer. Nun verblasse dieser Effekt wohl langsam.
Noch ist die neue Regelung – die sogenannte Widerspruchslösung – nicht in Kraft. Immer rechnet damit, dass die Umsetzung nicht vor 2025 erfolgt. Er wartet sehnlich darauf. In der Hoffnung, dass die Zahl der Organspenden dann nochmals deutlich steigt.