Im Bundeshaus herrscht vorweihnachtlicher Hochbetrieb. Anfang Woche begann die Wintersession – für die 246 Parlamentarierinnen und Parlamentarier ein freudiges Wiedersehen. Vor zwei Jahren war das noch ganz anders: Bei den Wahlen 2019 sind über ein Drittel der Sitze im National- und Ständerat neu besetzt worden. 68 neue Nationalrätinnen und Nationalräte sowie 21 neue Ständerätinnen und Ständeräte haben Anfang Dezember 2019 ihren ersten Tag im Parlament erlebt.
Wie haben sie sich seither geschlagen? Blick hat anlässlich der Legislatur-Halbzeit die ersten zwei Jahre Parlamentsarbeit der Neulinge unter die Lupe genommen. Ob Vorstoss-König, Streberinnen oder Hinterbänkler: Die Auswertung zeigt, wer bis jetzt am meisten herausgestochen hat. Oder eben gerade nicht.
Die Übermotivierten
Da hat einer die Bundesverwaltung ordentlich auf Trab gehalten: In knapp zwei Jahren und acht ordentlichen Sessionen hat mit 53 Stück keiner so viele Vorstösse eingereicht wie der Grüne Christophe Clivaz (52). «Ein grosser Teil der Vorstösse sind Interpellationen, bei denen sich der Bundesrat erklären muss», verteidigt der Walliser Politologe und Professor für Tourismus seinen Aktionismus. Dabei geht er auch gern ins Detail – sei das zur Wirkung von Laubbläsern auf die Biodiversität oder von Kaltstarts auf die Luftverschmutzung.
Gefolgt wird er in der Rangliste von sechs weiteren Grünen, die meisten davon sind Romands. Politologe Clivaz hat auch eine halbe Erklärung dafür: Als Nicht-Bundesratspartei sei man eben stärker auf das Instrument der Vorstösse angewiesen.
Die Unsichtbaren
Nicht alle werfen mit Vorstössen so um sich wie die grünen Welschen. Der Aargauer SVPler Benjamin Giezendanner (39) und der St. Galler Grünliberale Thomas Brunner (61) haben jeweils erst einen einzigen Vorstoss eingebracht. Letzterer sagt, er nutzte dieses Instrument bewusst dosiert: «Manche Vorstösse sind primär Schaulaufen. Um etwas zu bewegen, können ein paar konstruktive Gespräche und ein gezieltes Mail auch mal wirksamer sein.» Auch Giezendanner sagt, er reiche lieber wenige Vorstösse ein, die etwas bewirken. Und was er nicht sagt: Vorstösse, von denen er selbst – zumindest indirekt – auch noch etwas haben könnte. So betrifft das einzige Postulat, das der Transportunternehmer eingereicht hat, denn auch die Verkehrspolitik.
Die Redseligen
Die welschen Grünen beschäftigen Verwaltung und Parlament nicht nur mit ihrer Vorstoss-Wut – sie sind auch äusserst redelustig. Niemand unter den Neugewählten trat in den ersten zwei Amtsjahren häufiger ans Rednerpult als Léonore Porchet (32). Egal ob über Waffenexporte, AHV oder Kulturförderung: In 61 Debatten ergriff die Waadtländer Grüne – von Beruf selbstständige Kommunikationsspezialistin – das Wort. Auf Rang 2 und 3 folgen die Grünen Fabien Fivaz (43, NE) und Nicolas Walder (55, GE). Kaum je am Mikrofon gesehen hat man derweil den einzigen EDU-Nationalrat Andreas Gafner (50) und den Urner Mitte-Parlamentarier Simon Stadler (33). Nur bei fünf politischen Geschäften traten sie in den letzten zwei Jahren nach vorn.
Die Streber
Mustafa Atici (52) ist der Musterknabe unter den Parlamentsneulingen. Von den gut 3000 Abstimmungen, die im Nationalrat in den ersten zwei Legislaturjahren stattfanden, hat der Basler SP-Nationalrat gerade einmal ein Dutzend unentschuldigt verpasst. Auch FDP-Politiker Damien Cottier (46, NE) und SPlerin Franziska Roth (55, SO) haben kaum eine Debatte geschwänzt. Für Mustafa Atici ist Anwesenheit Ehrensache. Schon im Basler Kantonsrat habe er als einer gegolten, der das politische Amt sehr ernst nehme, sagt der Unternehmer. Er findet: «Zuhören ist wichtig. Für die Meinungsbildung ist es eine grosse Bereicherung, die Voten der anderen zu hören.»
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Die Abwesenden
Ja, Nein, Enthalten? Von den gut 3000 Gelegenheiten, aufs Knöpfen auf dem Pult zu drücken, hat Grünen-Nationalrätin Meret Schneider (29) mehr als 400 verpasst. Die Zürcher Politikerin hat aber nicht etwa geschwänzt, sondern konnte aus gesundheitlichen Gründen an den Abstimmungen kurzfristig nicht teilnehmen. «Ich musste während einiger Monate aus gesundheitlichen Gründen Sitzungstage ausfallen lassen, inzwischen bin ich aber wieder stabil und kann vollumfänglich an den Sessionen teilnehmen», sagt Schneider. Bei ihr kommt hinzu, dass sie ausgerechnet an Tagen ausfiel, an denen grössere Geschäfte debattiert wurden, über die allein dutzendfach abgestimmt wurde. Mit 264 verpassten Abstimmungen am zweithäufigsten gefehlt hat der Genfer Mitte-Nationalrat Vincent Maitre (40). Er habe wegen beruflicher Termine zwei Sessionstage verpasst, an denen viele Abstimmungen stattfanden, erklärt der Anwalt die Absenzen. Alle anderen Neo-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier haben weniger als 200 unentschuldigte Absenzen – waren also bei mehr als neun von zehn Abstimmungen dabei.
Die Medienstars
Andri Silberschmidt (27) ist nicht nur der jüngste, sondern auch der medial präsenteste Neo-Parlamentarier. Mehr als 2700 Mal tauchte sein Name in den vergangenen zwei Jahren auf Onlineportalen und in Zeitungen auf. Kein Wunder, denn der Zürcher FDPler ist ein Medienprofi – und als ehemaliger Jungfreisinnigen-Präsident und inzwischen FDP-Vize sehr bekannt. Dicht auf den Fersen in Sachen Medienöffentlichkeit ist ihm mit SP-Nationalrätin Tamara Funiciello (31) ebenfalls eine ehemalige Jungpartei-Präsidentin. Vor sie schiebt sich allerdings noch jemand anderes in der Rangliste: Marianne Binder-Keller (63), Nationalrätin und Aargauer Mitte-Präsidentin. Die ehemalige Kommunikationschefin der CVP weiss offensichtlich noch immer, wie Medienarbeit geht.
Die Hyperaktiven und die Hinterbänkler im Ständerat
Ständerätinnen und Ständeräte sind traditionell etwas zurückhaltender, was das Lancieren eigener Vorstösse betrifft. Nach 16 Jahren im Nationalrat fällt es Carlo Sommaruga (62) aber offenbar schwer, sich zu zügeln. Schon in der Grossen Kammer war der Genfer Genosse Vorstoss-König – und ist es nun in der Kleinen erneut. 23 Vorstösse hat er seit Dezember 2019 eingereicht – und sich mit Voten in 89 Debatten auch mit Abstand am häufigsten im Ständeratssaal zu Wort gemeldet. Auf Rang 2 in Sachen Redseligkeit landet der ehemalige St. Galler Regierungsrat Benedikt Würth (53, Mitte). Allzu wörtlich scheint sein Schwyzer Stöckli-Kollege Othmar Reichmuth (57, Mitte) derweil den Ständerats-Übernamen «Chambre de réflexion» zu nehmen: Nur achtmal hat er in den letzten zwei Jahren ein Votum gehalten – und zwei Vorstösse eingebracht.