Sind die Grünen bald zweitstärkste Partei?
Hokuspokus, Zauberformel-Schluss!

Die Grünen sollen die zweitstärkste Partei werden, zeigt eine Projektion der Forschungsstelle Gfs Bern. Das könnte die Zauberformel in Bedrängnis bringen – oder Mitte und FDP. Oder aber auch gar nichts ändern.
Publiziert: 03.07.2022 um 14:37 Uhr
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Der Co-Chef von Gfs Bern, Lukas Golder, projiziert die Kantonsratswahlen auf die Eidgenössischen Wahlen.
Foto: José R. Martinez/Solothurner Zeitung
Pascal Tischhauser

Eine gewagte «Projektion» trifft in der «NZZ am Sonntag» auf eine interessante Interpretation. Doch zuerst die Fakten: Am 22. Oktober 2023 wählen die stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizer das Bundesparlament. 52 Tage später, am Mittwochmorgen, 13. Dezember, finden die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats statt.

Tritt bis im Winter 2023 kein Bundesratsmitglied zurück und alle sieben Bundesräte treten zur Wiederwahl an, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die Vereinigte Bundesversammlung sämtliche Magistratinnen und Magistraten im Amt bestätigt.

Von gestern auf morgen

Oder doch nicht? Das Meinungsforschungsinstitut Gfs Bern hat für das Sonntagsblatt die kantonalen Wahlergebnisse der Parteien seit den Wahlen 2019 auf die Nationalratswahlen projiziert. Annahme: So wie seit 2019 in 17 Kantonen gewählt wurde, wählen die Stimmberechtigten auch in über einem Jahr. Man schliesst aus der Vergangenheit auf die Zukunft.

Die letzten Monate und Jahre haben zwar gezeigt, dass eine Pandemie oder ein Krieg in Europa scheinbare Gewissheiten in sich zusammenfallen lassen können, aber momentan scheint die Vorhersage nicht abwegig, dass die Grünen und die GLP zulegen und die SP verliert, wie der Artikel betont.

Zwei Parteien, ein Problem

Abstützend auf die Ergebnisse aus den Kantonsratswahlen müssten die Sozialdemokraten bei den Parlamentswahlen 2,4 Prozentpunkte abgeben, die Grünen könnten einen Zugewinn von 2,7 Punkten verbuchen. Die Öko-Partei käme damit neu auf einen Wähleranteil von 16, die Sozialdemokraten nur noch auf 14,5 Prozent. Wie es im Artikel heisst, hätte die SP dann ein Problem. Und auch die FDP, wie erwähnt wird.

Nur hätten die Freisinnigen das grössere Problem: Laut der Projektion wäre nämlich nach wie vor die SVP mit 24,7 Prozent die absolut stärkste Partei, dann kämen neu die Grünen und als dritte die SP. Erst auf dem vierten Rang folgte in der Projektion die FDP mit 14,1 Prozent.

FDP und Mitte verlören Sitz

Zieht man für die Verteilung der Bundesratssitze die Zauberformel heran, nach der die drei stärksten Parteien je zwei Sitze belegen und die viertstärkste im Bundesrat nur einen Sitz hat, hätten die Freisinnigen und die Mitte das Nachsehen. Denn dann würden SVP, SP und Grüne je zwei Sitze erhalten.

Die FDP müsste einen Sitz abgeben. Und mit nur noch 12,4 Prozent Wähleranteil wäre die Mitte-Partei laut Zauberformel als fünftstärkste Kraft gar nicht mehr im Bundesrat vertreten.

Nur die SVP soll zwei Sitze behalten

Jetzt ist es nicht nur höchst unwahrscheinlich, dass sowohl die beliebte Mitte-Bundesrätin Viola Amherd (60), die gerade dabei ist, den Kampfjet-Kauf unter Dach und Fach zu bringen, nicht mehr wiedergewählt wird. Sondern ebenso, dass entweder Ignazio Cassis (61) oder Karin Keller-Sutter (58) über die Klinge springen müssen, weil den Freisinnigen ja nur noch ein Sitz zustünde.

Also treibt Gfs-Bern-Co-Leiter Lukas Golder (47) den Hokuspokus weiter und stellt gleich noch die Zauberformel infrage: «Wenn die SP ihren zweiten Sitz an die Grünen abgibt und die FDP einen Sitz an die Grünliberalen, würde dies den Wählerwillen am besten abbilden», legt Golder heute dar, was die Wählerinnen und Wähler mit ihrer Stimmabgabe im Herbst 2023 beabsichtigen könnten.

Oder anders gesagt: Lieber lässt er die Zauberformel sterben, als die Zweiervertretung der FDP und den Mitte-Sitz im Bundesrat.

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