Der 28. November 2021 war historisch. Erstmals in der Geschichte der Schweiz wurde eine Initiative aus Gewerkschaftskreisen gutgeheissen – und das erst noch deutlich: 61 Prozent der Stimmbevölkerung (und bis auf Appenzell-Innerrhoden alle Kantone) sagten Ja zur Pflege-Initiative.
Denn eines ist klar: Um die Qualität der Pflege zu erhalten, müssen mehr Pflegefachkräfte ausgebildet und die Voraussetzungen für diese verbessert werden.
Die Arbeitsbedingungen sind enorm belastend. Permanenter Zeitdruck, kurzfristige Dienstplanänderungen, ständig wechselnde Arbeitszeiten mit Früh-, Normal- und Spätdienst, Wochenendarbeit und Nachtwache, Überstunden – all das führt zu Ermüdung, körperlichen Beschwerden, Burnout.
Bundesgesetz bis Frühling 2024
Die erste Etappe der Umsetzung der Pflegeinitiative – eine Ausbildungsoffensive von Bund und Kantonen im Wert von bis zu einer Milliarde Franken – ist bereits beschlossen.
Die zweite Etappe treibt der Bundesrat jetzt voran – mit einem neuen Bundesgesetz über die anforderungsgerechten Arbeitsbedingungen in der Pflege. Im Fokus stehen Massnahmen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Bis im Frühling 2024 soll das entsprechende Bundesgesetz stehen.
Doch einigen geht es viel zu langsam voran. Der Schweizerische Verband für Seniorenfragen (SVS) kritisiert den Bundesrat wegen seiner mangelhaften Umsetzung der Pflegeinitiative. Am Dienstag forderte der SVS – zusammen mit seinen Kantonal- und Regionalverbänden mit rund 40'000 Mitgliedern – schweizweit eine sofortige Verbesserung der Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal.
«Bundesrat missachtet den Volkswillen»
SVS-Präsident und alt Nationalrat Rudolf Joder (72, SVP) sagt zu Blick: «Wir kritisieren den Bundesrat, weil er die Pflegeinitiative mangelhaft umsetzt und damit den Volkswillen missachtet.» Gemäss der Bundesverfassung ist der Bundesrat nämlich verpflichtet, innerhalb von 18 Monaten nach Annahme der Pflegeinitiative wirksame Massnahmen zur Behebung des Mangels an diplomierten Pflegefachpersonen zu treffen.
Gemeinsam mit der Zuger Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt (55) hat der SVS eine Motion ausgearbeitet. Diese wird in der bevorstehenden Sommersession eingereicht, die vom 30. Mai bis zum 16. Juni in Bern stattfindet. Der Vorstoss verlangt vom Bundesrat in einem ersten Schritt die sofortige schweizweite Verbesserung der Arbeitsbedingungen fürs Pflegepersonal.
«Die Umsetzung der ersten Etappe bei den Kantonen geht nur sehr langsam vorwärts. Und auch die zweite Etappe wird vom Bundesrat nur schleppend vorangetrieben», sagt Weichelt. Gleichzeitig steige das Pflegepersonal aus. «Es mag nicht mehr. Der Bundesrat und die Kantone erkennen den Ernst der Lage nicht», betont sie.
40-Stunden-Woche im Schichtbetrieb
Weichelt und der Senioren-Verband fordern darum in ihrer Motion eine Höchstarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche fürs Pflegepersonal mit einem 100-Prozent-Pensum im Schichtbetrieb.
Zudem sollen sich Pflegende nach einem Arbeitsblock von fünf Tagen mindestens zwei Tage erholen können. Nach fünf Nachtdiensten am Stück sollen sie mindestens drei Tage frei haben. Weiter sollen fürs Personal nicht mehr als 50 Überstunden pro Quartal anfallen dürfen und höchstens 30 Prozent der Arbeitszeit soll für administrative Arbeiten draufgehen.
Weniger Versorgungssicherheit – höhere Prämien
«Mit der Motion wollen wir politischen Druck machen, damit der Bundesrat endlich handelt. Er könnte nämlich – gestützt auf das Arbeitsgesetz – solche Massnahmen sofort beschliessen», sagt Joder. Innerhalb von sechs Monaten nach Annahme der Motion seien zudem die Rechtsgrundlagen für die Arbeitsbedingungen fürs Pflegepersonal anzupassen, so die Forderung.
Das Zögern des Bundesrats führt laut Joder dazu, dass der Aderlass aus den Pflegeberufen nicht gestoppt werden kann und der Mangel an Pflegefachpersonal zunimmt. «Als Folge davon müssen Betten, ganze Abteilungen oder Spitäler schliessen. Hauptbetroffene sind Seniorinnen und Senioren. Sie sind die grösste Patientengruppe in Spitälern, Heimen und bei der Spitex.» Versorgungssicherheit und Pflegequalität würden laufend abgebaut – alles bei steigenden Krankenkassenprämien.