Selbst in der FDP-Basis hat Cassis keinen Rückhalt
Bundespräsident zum Bemitleiden

Das Bundesrats-Ranking zeigt: Bundespräsident Ignazio Cassis hat selbst bei den FDP-Anhängern einen schweren Stand. Woran das liegt? Parteikollegen versuchen sich mit Erklärungen.
Publiziert: 01.08.2022 um 00:39 Uhr
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Aktualisiert: 01.08.2022 um 09:26 Uhr
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Mit einer durchschnittlichen 3,2 wird Bundespräsident Ignazio Cassis von allen Bundesräten am schlechtesten bewertet.
Foto: AFP
Lea Hartmann

Das Ergebnis ist bitter für Bundespräsident Ignazio Cassis (61). Von allen Bundesrätinnen und Bundesräten kriegt er von der Bevölkerung die schlechteste Note. Gerade einmal mit einer 3,2 bewertet das Stimmvolk in der Schweiz die Leistung des Aussenministers. Ungenügend. Das hat eine repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag des «SonntagsBlick» ergeben.

Schaut man sich die Resultate etwas genauer an, wirds noch bitterer: Selbst die FDP-Wählerinnen und -Wähler stellen ihrem Bundespräsidenten ein schlechtes Zeugnis aus. Während die Sympathisanten der anderen Parteien wenig überraschend ihre eigenen Bundesräte besonders wohlwollend beurteilen, ist das beim Freisinn anders.

FDP-Kollegen verteidigen Cassis

Cassis' Parteikollegin Karin Keller-Sutter (58) bekommt vonseiten der FDP-Wähler mit Abstand die beste Note – eine 4,6 im Durchschnitt – der Tessiner hingegen landet mit einer mässigen 3,8 auf dem zweitletzten Platz. Gemeinsam mit SP-Bundesrat Alain Berset (50). Eine noch schlechtere Note geben die befragten FDP-Anhängerinnen lediglich der zweiten SP-Vertreterin in der Regierung, Simonetta Sommaruga (62). Sie schafft es nur auf eine 3,2.

Für FDP-Politiker ist klar, dass die schlechte Bewertung mit den Dossiers zu tun hat, die Cassis verantwortet, vor allem mit dem ewigen Streitthema Europapolitik. «Das geerbte EU-Dossier ist für Cassis eine Bürde. Daran hat sich jeder die Zähne ausgebissen», sagt die Waadtländer FDP-Nationalrätin Jacqueline de Quattro (62). «Im Inland sieht man oft nicht, was Cassis als Aussenminister alles erreicht. Man spricht nur darüber, wenn einem etwas nicht gefällt.» Zudem wüssten es in der Aussenpolitik sowieso immer alle besser, ohne allerdings umsetzbare Lösungen vorlegen zu können, verteidigt der Luzerner Ständeratskollege Damian Müller (37) seinen Bundesrat.

Kritik musste sich Cassis jüngst insbesondere wegen der Ukraine-Politik gefallen lassen. Nicht nur einmal leistete sich der Aussenminister kommunikative Patzer, sei es beim Thema Sanktionen oder der Aufnahme von Patienten aus der Ukraine. Auch das dürfte sich negativ auf sein Image in der Bevölkerung ausgewirkt haben.

«Sollte weniger zurückhaltend sein»

De Quattro glaubt ausserdem, dass Cassis die Corona-Pandemie schadete. «Ich habe den Eindruck, bei diesem Thema hätten ihn einige Parteimitglieder gerne engagierter gesehen», sagt die Waadtländerin. Als studierter Arzt hätte er schliesslich so viel Fachkompetenz wie sonst keiner seiner Kolleginnen und Kollegen. Doch Cassis liess Gesundheitsminister Alain Berset (50) den Vortritt. Das sei zwar sehr kollegial, sagt de Quattro. «Doch ab und zu sollte Cassis vielleicht weniger zurückhaltend sein, sonst nimmt man ihn zu wenig wahr.»

Nicht zuletzt wird auch der Fakt, dass Cassis Tessiner ist, als möglicher Grund vorgebracht. «Dieser Faktor wird unterschätzt», sagt Ständerat Müller. Einerseits sei Cassis in der Deutschschweiz und der Romandie weniger bekannt. Andererseits sei da aber auch die sprachliche Barriere. «Von den Bundesräten wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt.»

Berset abgestürzt

Vergleicht man die aktuelle Umfrage mit früheren Bundesrats-Rankings, sieht man, dass Cassis schon in den vergangenen Jahren einen schweren Stand in der Bevölkerung hatte. Ganz anders sieht die Entwicklung bei Karin Keller-Sutter aus. Die FDP-Bundesrätin hat in den letzten Jahren die hinteren Plätze belegt – nun ist sie plötzlich die Bundesrätin mit der besten Bewertung.

Abgestürzt ist derweil SP-Bundesrat Alain Berset. Die Corona-Krise hat ihm viele Kritiker, allerdings auch viel Popularität eingebracht. Die Folge war, dass der Gesundheitsminister vergangenes Jahr noch die besten Noten einheimste. Nun ist er vom Klassenbesten zum Durchschnittsschüler degradiert worden. Mit seinen Liebes- und Flugeskapaden ist der Hobbypilot bei der Stimmbevölkerung offenbar nicht gut gelandet.

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