Gerhard Pfister (58) gerät zunehmend unter Druck – aus den eigenen Reihen. Denn der Mitte-Präsident gehört zu den schärfsten Kritikern des EU-Rahmenabkommens. Bei jeder Gelegenheit schiesst er gegen den Entwurf, bezeichnete ihn als «Lebenslüge der Bundesräte» oder die Rolle des Europäischen Gerichtshofs als «toxisch».
An den Von-Wattenwyl-Gesprächen zwischen Bundesrat und Parteispitzen soll Pfister Anfang Monat den Verhandlungsabbruch unumwunden gefordert haben, ist aus seiner eigenen Partei zu hören. Lange war in der Mitte-Fraktion und seiner Partei der Kurs gegen das Rahmenabkommen unbestritten.
Auf Kollisionskurs
Doch der Widerstand wächst stetig. Mit Doris Leuthard (58), Ruth Metzler (56), Arnold Koller (87) und Joseph Deiss (75) haben sich mehrere frühere CVP-Bundesräte für das Abkommen ausgesprochen. Sie gingen damit auf Kollisionskurs zu Pfister.
Auch mit Kritik aus den Kantonen muss sich der Parteichef herumschlagen. In einem Schreiben brachte die Genfer Kantonalsektion ihre «tiefe Sorge um die Position der Parteileitung zum Rahmenvertrag» zum Ausdruck, wie die «NZZ» berichtete. Und die Mitte Basel-Stadt forderte von Pfister, dem Abkommen eine Chance zu geben, um «gegenüber anderen Nationen nicht ins Hintertreffen zu geraten».
Junge und Alte begehren plötzlich auf
Und nun begehren plötzlich auch die Jungen sowie die älteren Parteimitglieder gegen Pfisters Kurs auf. Die Junge Mitte betont in einer Mitteilung, dass sie den Totalabbruch der Verhandlungen nicht goutieren könne. Und: Sie sei nicht bereit, «das Abkommen kampflos aufzugeben und die Verhandlungen ohne einen Plan für eine Alternative abzubrechen».
Auch die Senioren-Vereinigung CVP 60+ nimmt die Parteispitze ins Gebet. Sie ruft dazu auf, sich «zusammenzuraufen», um Lösungen zu finden. Handle die Mitte-Partei ansonsten oft als Brückenbauerin weitsichtig und verantwortungsbewusst, «so vermissen wir in der aktuell öffentlichen Debatte solche Bestrebungen», schreibt die Vereinigung.
Auch Amherd will retten, was Pfister ablehnt
Sogar auf der Mitte-Kommandobrücke verweigern einige den Gehorsam: Die bisherige Fraktionschefin Andrea Gmür (56) gehört zu den Initianten einer Petition gegen einen Verhandlungsabbruch. Auch Bundesrätin Viola Amherd (58) hat laut «Tages-Anzeiger» in letzter Minute einen Rettungsversuch fürs Abkommen lanciert.
Amherd schlug vor, Brüssel bei der Unionsbürgerrichtlinie entgegenzukommen. Gleichzeitig aber müsste die EU beim Lohnschutz zu einem Kompromiss bereit sein und der Schweiz die flankierenden Massnahmen garantieren.
Mitte ist wieder in ruhigem Fahrwasser
Pfister ist in Bundesbern bei weitem nicht der Einzige, der das Abkommen am liebsten vom Tisch hätte. Selbst in der Regierung gilt es als chancenlos. So könnte es noch im Mai so weit sein: Fünf von sieben Bundesräten sollen die Verhandlungen mit der EU abbrechen oder zumindest auf Eis legen wollen, heisst es. Zu gross seien die Differenzen.
Der Bundesrat ist grundsätzlich einverstanden mit dem Rahmenabkommen. In drei Bereichen aber verlangt er Nachbesserungen:
- Lohnschutz: Brüssel will, dass die Schweiz den EU-Lohnschutz übernimmt. Gewerkschaften, aber auch die Arbeitgeber sind grundsätzlich dagegen. Sie fürchten um das Schweizer Lohnniveau.
- Staatliche Beihilfen: Im EU-Raum sind Subventionen und Steuererleichterungen verboten, wenn sie den Wettbewerb verfälschen. Das könnte etwa auch die Förderung der Wasserkraft durch die Kantone umfassen. Allerdings haben die milliardenschweren Corona-Hilfspakete das Problem entschärft.
- Unionsbürgerrichtlinie: Müsste die Schweiz sie übernehmen, könnten EU-Bürger in der Schweiz schneller an Sozialhilfe gelangen. Dagegen gibt es breiten Widerstand.
Der Bundesrat ist grundsätzlich einverstanden mit dem Rahmenabkommen. In drei Bereichen aber verlangt er Nachbesserungen:
- Lohnschutz: Brüssel will, dass die Schweiz den EU-Lohnschutz übernimmt. Gewerkschaften, aber auch die Arbeitgeber sind grundsätzlich dagegen. Sie fürchten um das Schweizer Lohnniveau.
- Staatliche Beihilfen: Im EU-Raum sind Subventionen und Steuererleichterungen verboten, wenn sie den Wettbewerb verfälschen. Das könnte etwa auch die Förderung der Wasserkraft durch die Kantone umfassen. Allerdings haben die milliardenschweren Corona-Hilfspakete das Problem entschärft.
- Unionsbürgerrichtlinie: Müsste die Schweiz sie übernehmen, könnten EU-Bürger in der Schweiz schneller an Sozialhilfe gelangen. Dagegen gibt es breiten Widerstand.
Während andere Parteien derzeit etwas orientierungslos wirken, hat es Pfisters Führungscrew geschafft, die Mitte wieder in ruhigere Fahrwasser zu steuern. Selbst wenn Andrea Gmür schon nach gut einem Jahr ankündigte, als Fraktionschefin den Dienst quittieren zu wollen. Mit Philipp Matthias Bregy (42) war schnell und ohne störende Nebengeräusche ein Nachfolger gefunden.
Pfister sieht sich zur Profilschärfung genötigt
Gleichzeitig aber bedrängen die Grünen und die GLP die arrivierten Parteien. Die Grünliberalen fallen dabei derzeit durch blinden Kurs aufs Rahmenabkommen auf.
So mag sich Pfister zur Profilschärfung genötigt sehen, sich mit harscher Kritik am Rahmenabkommen von der hippen GLP zu distanzieren. Zwar wechselt der konservative frühere BDP- oder CVP-Wähler bei einer Abkehr von der Mitte-Partei nicht zur urbanen Ökopartei. Doch die GLP spricht jene Wähler an, die die Mitte gern dazugewinnen würde.
Vieles richtig gemacht
Und man muss sagen: Bislang hat der Kapitän des Mitte-Schiffs vieles richtig gemacht. Und das Ruder noch rechtzeitig herumgerissen, bevor er als CVP-Präsident mit seiner Wertedebatte Schiffbruch erlitt. Diese stiess viele zu sehr als Anti-Muslim-Debatte ab.
Doch dann stimmte der Kompass. Der Zuger brachte die Partei in ruhige Gewässer und passierte die Parlamentswahlen besser als alle anderen grossen Volksparteien. Es gelang ihm sogar, die BDP vom Beiboot auf sein Schiff zu holen.
Stratege mit Lust an Hüftschüssen
Es gibt Politiker, die es allen recht machen wollen. Es gibt die Zauderer, die Blender, die Hansdampfe in allen Gassen – und die Strategen. Folgt man Pfister auf Twitter, gehört der Mitte-Chef aber zu den Revolverhelden, die gern aus der Hüfte schiessen. Doch twittert neben Ärger oft auch eine Portion Lust an Provokation bei ihm mit. Pfister ist kein Präsident, der via Twitter führt.
Der Zuger ist vor allem ein kühner Analyst – einer, der seinen Kurs korrigieren kann, wie das Umsteuern bei der Wertedebatte zeigt. Gerhard Pfister reagiert aktuell nicht auf Anfragen von Blick. Ganz abwegig ist es nicht, dass er seine Zeit lieber dafür nutzt, den bisherigen Europa-Kurs zu überdenken. Oder eher, seine parteiinternen Kritiker zu überzeugen?